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Vier Duftzonen und zwei Schluchten

EHWS Andalusien, Etappe 21: Zafarraya - Alhama de Granada

Tajo de Alhama.
Tajo de Alhama.

Diese Wanderung bestand aus zwei sehr unterschiedlichen Hälften: Die erste führte durch eine intensiv durch Gemüseanbau bewirtschaftete Ebene, die zweite durch ein langes Tal, das sich zuletzt zweimal zu einer Schlucht verengte. Einteilen könnte man die Strecke aber auch nach olfaktorischen Merkmalen; es ergäben sich dann vier Abschnitte: Zunächst duftete es hauptsächlich nach Kohl, später nach Tomaten, dann nach herbstlich dürrem Pappellaub und schliesslich nach Pinien.

Vor Ventas de Zafarraya.
Vor Ventas de Zafarraya.

Auch heute mache ich mich ohne Frühstück und Kaffee auf den Weg – zwar nicht gerade im Dunkel wie gestern, wohl aber in der Morgendämmerung: Die Berge sind noch kaum mehr als kantige dunkle Silhouetten. Nach Ventas de Zafarraya gibt es einen Bus, aber ich mag nicht auf ihn warten. Also gehe ich die drei Kilometer auf derselben Strasse von gestern wieder nach Südosten zurück. Erste Leute sind auf dem Weg zur Arbeit in Gemüsefeldern und -häusern. Erst jetzt, auf dem Retourweg, fällt mir auf, wie stark es nach Kohl riecht; beim ersten Mal und dem vollen Tageslicht wurden die Eindrücke der Nase wohl von jenen des Auges überstrahlt.

Ich mache mir noch einmal die Veränderung des Landschaftsraums bewusst, in dem ich mich seit gestern Abend bewege: Ich habe nicht nur die Seite der Bergkette gewechselt und sehe sie nun rechts statt links von mir, sie ist auch nicht mehr die einzige: Jenseits der mehrere Kilometer breiten Ebene zieht sich eine zweite dahin, sie wird von ersten Sonnenstrahlen gestreift. Die Penibetischen Kordilleren bestehen hier offensichtlich nicht mehr, wie noch weiter westlich, nur aus der Cordillera Antequerana als einziger Kette, sondern aus einem breiteren und komplizierteren Gebirgssystem, und ich wandle jetzt in dessen Innerem: in einer weiten Öffnung zwar, aber doch von Bergen umringt. Und irgendwo dort drüben, über jene besonnten Kämme, muss die EHWS verlaufen – lange ists her, dass ich in ihre Nähe kam!


Zafarraya - Alhama de Granada
Etappe EHWS Andalusien, Nr. 21
  (Fernwanderung EHWS)
Länge / Zeit 28,2 km / 7h30'
Auf- / Abwärts 343 m / 455 m
Höchster Punkt 1'094 m (Pass ob Cjo Baltasar)
Tiefster Punkt 789 m (Hotel Balneario)
Fernwanderwege E4 (GR7)
Durchgeführt Samstag, 14. Oktober 2017
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Miniatureisenbahn in Ventas de Zafarraya.
Miniatureisenbahn in Ventas de Zafarraya.

In Ventas nehme ich auf einem Bänklein erste Nahrung zu mir; in einem Supermarkt, der gerade seine Tore öffnete, habe ich mich mit dem Nötigsten eingedeckt. Beim Dorfeingang kann ich noch einmal durch den Boquete ins Tal auf der Südseite hinunter schauen. Dann nehme ich den GR7 wieder unter die Füsse. Neben einer an die einstige Bahnlinie erinnernden Miniatureisenbahn her verläuft er hinter dem langgezogenen Strassendorf hindurch Richtung Osten, parallel zum Berghang der Sierra de Alhama. Schon jetzt melden sich in meinen Zehen die Schmerzen von gestern Nachmittag zurück – Müdigkeit kann also nicht deren Ursache sein, wie ich mir eingestehe.

Wirrwarr von Kreuzungen

In einem Gewerbegebiet mit Gemüseverarbeitungs- und -handelsbetrieben muss ich aufpassen, dass ich den an- und wegfahrenden LKW’s nicht in die Quere komme. Als ich endlich in offenes und besonntes Land hinaus schreite, sind es vor allem Tomatenblüten, die ihren Duft verbreiten. Es wandert sich ganz anders als gestern: Kaum je ist wirklich Stille um mich her, denn praktisch jeder Quadratmeter wird intensiv bewirtschaftet, überall wird gearbeitet – Gemüse kennt keinen Samstag. Eine rege befahrene Strasse durchzieht die Ebene der in West-Ost-Richtung verlaufenden Länge nach; die Felder werden von einer Vielzahl von Bewirtschaftungswegen erschlossen, die oft mit vermutlich von Bewässerungsschläuchen stammenden Gummiresten übersät sind. GR7-Markierungen sind wie so oft Mangelware. Fast zwangsläufig trifft man an den Kreuzungen die eine oder andere Fehlentscheidung, die aber höchstens Umwege zur Folge hat. So finde ich mich einmal in einer Ansammlung von Landarbeiterhäuschen wieder, die ich, von aufgeregtem, vielstimmigem Bellen begleitet, praktisch durch die Vorgärten passiere; ein andermal, es ist bei einem Zugangsweg zum Naturpark «Sierras de Tejeda, Almijara y Alhama», sehe ich zwar eine GR7-Markierung, aber noch bevor ich mir schlüssig bin, in welche Richtung sie zeigt, kommt ein gutmeinender Anwohner daher und will mich dezidiert zur Strasse hin schicken: Nach Alhama? Dort geht es lang! Erst als er mit seinem Moped um die Ecke verschwunden ist – ich will ja nicht als beratungsresistent erscheinen – wage ich es, meinen Weg fortzusetzen.

Über die Wasserscheide

So taste ich mich unter einem inzwischen leicht bedeckten Himmel mehr oder weniger im Zickzack voran. Um ein Uhr erreiche ich das Hotel-Restaurant Alcaicería. Hier geniesse ich den ersten Kaffee des Tages, und hier endet der Wanderung erste Hälfte: Die Polje liegt hinter mir, Hügelland beginnt. Auf einem breiten Fahrweg gehe ich durch ein Tälchen mit baumbestandenen Hängen weiter Richtung Osten. Jetzt komme ich gut voran, hier ist der Weg klar. Nach etwa drei Kilometern verzweigt er sich zwar, aber diesmal bietet er Information: Geradeaus führt ein Wanderweg zum Maroma hinauf, mit rund 2000 Metern der höchste Gipfel der hinter den Hügeln aufragenden Sierra de Tejeda; der GR7 jedoch biegt scharf nach links Richtung Norden ab. Auf diesem erreiche ich sanft ansteigend nach einigen Kurven einen Sattel. Genau hier, so meine ich, überschreite ich die EHWS und gelange somit – nach vielen Tagen auf der Mittelmeerseite – erstmals wieder ins Einzugsgebiet des Atlantiks.

Ennet der Wasserscheide: Tal zum Río Alhama hinab.
Ennet der Wasserscheide: Tal zum Río Alhama hinab.

Denn hinter der Passhöhe geht es in ein Tälchen hinunter, das zum Río Alhama entwässert, seinerseits ein Zufluss des Río Genil und damit indirekt des Guadalquivir. Das Tälchen schlängelt sich durch das Hügelland abwärts und gräbt sich immer tiefer in dieses hinein; die Talsohle ist zunehmend bewaldet. Laubgeruch steigt mir in die Nase – und zwar der für frühes Herbstlaub typische Geruch beginnenden Verdorrens. Es sind vor allem golden schimmernde Pappeln, die den Weg säumen. Später häufen sich Nadelbäume, und als ich mich nach einigen Kilometern einem Stausee des Rio Alhama nähere, atme ich Pinienduft.

Tajo Nr. 1
Tajo Nr. 1

Am Nordufer des Sees führt mich eine Strasse über das Wehr hinüber. Auf der anderen Seite verlasse ich den GR7: An diesem befindet sich zwar in nur wenigen Schritten Entfernung ein Hotel, aber es ist ausgebucht; deshalb muss ich zum Übernachten nach Alhama de Granada. Ein Fusspfad führt neben dem Fluss her in nördlicher Richtung durch Mischwald. Über den Bäumen ragen Felszinnen empor; plötzlich umschliessen diese mich, und ich befinde mich in der Enge einer spektakulären Schlucht. Fast zwei Kilometer lang führt der Pfad durch den Tajo hindurch, den der Río Alhama durch den Felsen gefressen hat, mal auf-, dann wieder abwärts, manchmal über Stufen. Und dann taucht plötzlich das Städtchen Alhama vor mir auf, auf einem Felssporn thront es über dem Ausgang der Schlucht. Über einen steilen Weg und Treppenstufen steige ich zu ihm hinauf; kurz vor fünf Uhr bin ich oben.

Unfreiwillige Zugabe

Tajo Nr. 2. Strasse zu Thermalqellen und Hotel.
Tajo Nr. 2. Strasse zu Thermalqellen und Hotel.

Jetzt benötige ich erst einmal Erholung und Erfrischung; bei einer Bar im Stadtzentrum hole ich sie mir. Ich wähne mich dem Ziel nahe; doch erst jetzt, als ich in der Buchungs-App mein Hotel suche, realisiere ich, dass dieses nicht im Städtchen, sondern fast drei Kilometer weiter talabwärts liegt! Durchatmen, noch ein Bier bestellen, überlegen! Ich denke an ein Taxi, aber dann tragen mich meine Beine doch fast wie von selber quer durchs Städtchen zu der Strasse hin und auf dieser durch eine weite, nahezu baumlose Hügellandschaft ins Tal hinunter. Direkt vor der Brücke über den Fluss zweigt ein Strässchen mit Wegweiser zu Thermalquellen und Badehotel Balneario ab. Sogleich bin ich da erneut zwischen zerklüfteten Felsen gefangen: Zum zweiten Mal taucht der Río Alhama in eine Schlucht hinein. In engen Kurven und Tunnels windet sich das schmale Strässchen durch sie hindurch. Dann weitet sich das Tal, und am andern Flussufer wird in einem von hohen Bäumen beschatteten Park das Badehotel sichtbar.

Als ich um halb Sieben mein Zimmer beziehe, bin ich kaputt: wegen einer Blase am linken Fuss und den schmerzenden Zehen am rechten Fuss und wegen des Biers in Alhama – und weil ich nicht mehr mit diesen letzten fast drei Km gerechnet habe. Aber ich muss zugeben: Die beiden Schluchten waren nach all dem Gemüse ein tolles Schlussbouquet! Ihretwegen möchte ich den Abstecher vom GR7 weg einschliesslich des letzten Strassenstücks nicht missen.


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