Spanien · 20. Oktober 2022
Ein grauer Himmel lag über dem Land, böige Winde schleuderten mir von Zeit zu Zeit Schwaden von Nieselregen ins Gesicht. Unnötigerweise schien das Wetter mir einige der Eigenschaften unter die Nase reiben zu wollen, die man der Gegend zuschrieb: rauh, unwirtlich, kalt. Die Rede ist von den «Campos de Hernán Pelea»: ein ausgedehntes, einsames, nahezu waldloses Karsthochland, das auch schon als «Sibirien des Südostens» bezeichnet wurde. Ich fand es – Wetter hin oder her – grossartig.
Spanien · 19. Oktober 2022
Erwartet hatte ich einen überlangen, ermüdenden und eintönigen Marsch auf Asphalt, den es einfach irgendwie hinter mich zu bringen galt. Nur weil es die Gehzeit ein wenig zu verkürzen versprach, verliess ich im Mittelteil die kurvenreiche Strasse für eine Weile und nahm die Risiken unmarkierter Pfade in Kauf. Dabei geriet ich von Schritt zu Schritt mehr ins Staunen: Es begegnete mir, womit ich an diesem Tag ganz und gar nicht gerechnet hatte: nämlich bezaubernd schöne Natur.
Frankreich · 03. Juni 2022
Bis zum Col de Coustel wanderte es sich gemütlich, danach übernahm die Energieindustrie das Diktat. Ein Windpark war am Entstehen, der Wanderweg kilometerlang zu einer Baustellenstrasse mutiert. Lastwagen sorgten für Lärm und Staub. Ob ich das angenehm finde, fragte ein Radfahrer rhetorisch. Zwei Frauen, die mir später mit Eseln entgegenkamen, beantworteten meine Vorwarnung mit Schulterzucken. Auch den gelenk- und muskelschindenden Steilabstieg am Schluss möchte man sich eigentlich nicht antun.
Frankreich · 02. Juni 2022
Am See von Vézoles vollführten Nebelschwaden und sich darin brechendes Morgenlicht ein mystisches Spiel. An den bewaldeten Kämmen und grauen Felshängen von Fontfroide verdichtete sich der Nebel und trübte die Stimmung ein. Friedlich schlummerte das offene Heideplateau von Espinouse unter der Nachmittagssonne. Landschaft und Stimmungen änderten sich, doch Ginster blühte überall – ein gelber Faden, der alles verband. Bis hin zum Ziel, das ihn – Botaniker nennen ihn «Genista» – sogar im Namen trug.
Frankreich · 01. Juni 2022
Diese Etappe bewahrt seine Highlights für den Schluss auf. Stundenlang ist man von Wald verschluckt. Endlos lange, meist flache Geraden fordern Geduld. Umso überraschter tritt man nachmittags auf ein sanft eingemuldetes Plateau mit Heide und Ginster hinaus. Der Atem stockt, wenn man plötzlich über eine spektakuläre Felswand hinunterblickt. Und wenn hinter einer Rippe das idyllische Seelein auftaucht, um das herum der Ginster kräftig gelb in der Abendsonne leuchtet, fühlt man sich belohnt.
Frankreich · 31. Mai 2022
Über den Höhepunkt des heutigen Tages gab es keinerlei Zweifel: Schon am Morgen ragte er vor mir auf, und mit der rot-weiss gestreiften Antennennadel, die er in den Himmel streckte, blieb er bis zum Abend ein immer wieder sichtbares Orientierungszeichen: Der Pic de Nore, höchste Erhebung der Montagne Noire. Unbestritten war auch der Weg: Auf dem GR36 gings auf den Pic, dahinter fand der GR7 mich wieder. Mit ihm verliess ich die Wasserscheide erst gegen Ende, um ins Tal des Thoré abzusteigen.
Frankreich · 30. Mai 2022
Zwischen Fontbruno und Pic de Nore gibt es etliche Wanderwege, doch keiner folgt der Wasserscheide. So suchte ich mir selber einen. Allzu schwer war es nicht: Denn auf den Höhen, die sich zwischen den Tälern von Arnette und Orbiel dahinziehen, reiht sich Windpark an Windpark. Die Turbinen überragten die Baumwipfel und waren weithin sichtbar. Der Wind freilich scherte sich heute nicht um sie. Er blies wohl anderswo – zum Beispiel in den Pyrenäen, die verschleiert am fernen Horizont standen.
Spanien · 13. Oktober 2021
Seit Tagen stand sie am Horizont, erhob sich über alle andern Berge um sie herum, schien die ganze Ebene zu überblicken und rückte immer näher. Aber heute, da ich praktisch vor ihren Füssen stand, verbarg sie sich hinter einem viel niedrigeren Bergrücken. Sie liess mich erst eine 15 km lange Zypressenallee abschreiten und dann aus einem steilen bewaldeten Tälchen emporarbeiten, ehe sie sich zu zeigen geruhte. Dann aber tat sie es umso eindrücklicher: La Sagra, Wächterin über den Altiplano.
Spanien · 12. Oktober 2021
Gemütlich ging es heute durch das fruchtbare Tal des Río Huéscar sanft aufwärts, schon am Mittag war ich am Ziel. Dass ich an einem Wochentag etlichen Spaziergängern und Joggern begegnete und auf der Plaza von Huéscar auf festlich gekleidete Leute und Militärmusik traf, versetzte mich in Staunen. Was für ein ahnungsloser Tourist war ich doch: Es war Nationalfeiertag, das Land gedachte jenes 12. Oktobers, an dem Kolumbus in Amerika an Land ging! Aber der war ja auch ein ahnungsloser Tourist.
Spanien · 11. Oktober 2021
Es war vielleicht meine einsamste Etappe im östlichen Andalusien: Ich startete bei einem alleinstehenden Bauernhof und schritt stundenlang durch menschenleeres Gebiet mit verlassenen Höfen – neben und vor mir eine weite, meist karge Ebene, über mir ein ebenso weiter Himmel. Welch eine Überraschung, als ich mich dann plötzlich in einem üppig bewachsenen Flusstal fand! In diesem versteckte sich zudem eine kleine Stadt, deren Wohnungen sich in die Talhänge hineinbohrten.