Entlang der Hauptwasserscheide in den  Vogesen

Im Frühjahr und Herbst 2019 habe ich der Europäischen Hauptwasserscheide (EHWS) in den Vogesen nachgespürt. Sie berührt dieses ostfranzösische Mittelgebirge an dessen Südrand auf einem eher kurzen Abschnitt. Für dessen Erwanderung habe ich fünf Tage eingesetzt und dabei 82,5 km zurückgelegt, vier Tage könnten aber auch ausreichen.

Dass die Vogesen trennend wirken zwischen dem Rhein und seinem zweitlängsten Nebenfluss, der Mosel, ist aufgrund ihrer grundsätzlichen Nord-Süd-Orientierung offensichtlich. Weniger ins Auge sticht die Tatsache, dass sie auch das die Nordsee speisende Rheinsystem als Ganzes gegen jenes der dem Mittelmeer zuströmenden Rhône abgrenzen. Sie tun dies durch einen Querkamm, der ihren Hauptkamm an dessen südlichen Ende schräg kreuzt. In der Nähe des lothringischen Städtchens Remiremont nimmt er die vom Vôge-Plateau her kommende Hauptwasserscheide auf, lässt sie in Richtung Nordwest-Südost bis zu seinem Scheitelpunkt ansteigen und trägt sie danach wieder absinkend in der gleichen Richtung weiter, um sie schliesslich nördlich von Belfort zur Burgundischen Pforte hinabfallen zu lassen. Auf dem Kreuzungspunkt mit dem Vogesenhauptkamm, dem Ballon d’Alsace oder «Elsässer Belchen», erreicht die EHWS mit 1247 m ihren höchsten Punkt; der tiefste liegt auf 430 m an der Stelle, an der sie die Vogesen verlässt.


Vogesen
Abschnitt Wasserscheide EHWS, Abschnitt Vogesen
Länge / Dauer 87,2 km / 5 Tage
Durchgeführt 30. Mai - 1. Juni und 11.-12. Oktober 2019
Höchster Punkt 1'247 m: Ballon d'Alsace
Tiefster Punkt 388 m: Remiremont
Start Remiremont
Ende Rougemont-le-Château
Fernwanderwege GR7, kurzes Stück GR5
Weitere Facts & Figures

Voriger Abschnitt

noch ausstehend

Nächster Abschnitt


Dem Rhein wird das Wasser westlich des Hauptkamms durch die Moselle bzw. Mosel zugeführt, östlich davon durch die Ill. Während die Moselle selbst aus den Vogesen stammt – sie entspringt nur etwa 8 km nördlich des Ballon d’Alsace – und in ihrem Oberlauf das von den Hängen der EHWS herunterkommende Wasser direkt einsammelt, bedient sich die aus dem Jura kommende und dem Rhein ausserhalb der Vogesen zufliessende Ill der 46 km langen Doller als Zulieferin. Auf der Mittelmeerseite der EHWS wird das Vogesenwasser ausschliesslich durch das weit ausholende und verästelte System der Saône zur Rhône transportiert. Die Wege bis zu diesem vom Vôge-Plateau stammenden Fluss sind zum Teil beträchtlich lang – umso mehr, als seine Zulieferer teilweise fast parallel zu ihm nach Süden fliessen. Sie heissen (von West nach Obst gesehen) Lanterne (64 km ), Ognon (214 km) und Doubs; letzterer benötigt satte 450 km, bis er endlich zur Saône findet (was freilich auch dem Umstand geschuldet ist, dass er zunächst ein gutes Stück in die «falsche» Richtung fliesst). Aber auch sie erhalten das Vogesenwasser zum Teil von längeren Nebenflüssen: die Lanterne beispielsweise von Augronne, Combeauté und Breuchin (von den beiden ersteren auf dem Umweg über die Semouse); der Ognon zusätzlich von dem wie er selbst unmittelbar neben der EHWS entspringenden Rahin und der Jura-Fluss Doubs von der Savoureuse (durch Vermittlung des Allan).

Moseltal bei Rupt-sur-Moselle.
Moseltal bei Rupt-sur-Moselle.

Auf der Nordseite fällt der EHWS-Kamm steil zur breiten Furche des Oberen Moseltals und östlich des Hauptkamms zu dem trogförmigen Dollertal ab. Ganz anders auf der Südseite: Hier schliesst sich in einem grossen Bereich eine nur sehr flach geneigte, von den langen Tälern der Saône-Vorfluter zerfurchte Plateaulandschaft an ihn an; ihr Kerngebiet ist das Plateau des Mille Etangs («Hochebene der 1000 Teiche»), eine Hinterlassenschaft der Eiszeit, die von unzähligen kleineren und grösseren Teichen geprägt ist. Nur im Bereich des Ballon d’Alsace sind auch die Südhänge steil.

Auf dem gesamten Vogesen-Abschnitt bildet die EHWS auch die Grenze zwischen den beiden französischen Regionen Grand-Est (mit ihren Departementen Vosges und Haut-Rhin) auf der Rhein- und Bourgogne-Franche-Comté (beziehungsweise deren Departementen Haute-Saône und Territoire de Belfort) auf der Rhône-Seite. Das Teilstück vom Ballon d’Alsace an ostwärts war zudem während eines knappen halben Jahrhunderts (von 1871 bis 1919) die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Frankreich.

Fernab von Grossstädten und Hauptverkehrsadern

Das Gebiet dieses EHWS-Vogesen-Querkamms liegt fernab grösserer Städte. Im näheren Umkreis finden sich nur regionale Zentren wie Épinal im Nordwesten und Belfort und Mulhouse im Südosten. Abgesehen vom Talboden des Mosel- und in geringerem Mass von jenem des Dollertals, wo sich Dörfer und Gewerbezonen ausbreiten, ist die Gegend spärlich besiedelt. Die wichtigsten Erwerbszweige sind Forst- und Holzwirtschaft sowie Tourismus (vor allem im Winter), auf den Höhen spielen auch Alpwirtschaft und Käseherstellung eine Rolle. Das Klima ist eher rauh, wobei deutliche Unterschiede bestehen: So ist es auf der Westseite der Vogesen deutlich kühler als auf der Ostseite, wo durch die Rhône-Saône-Senke oft warme Luft aus Südfrankreich angeweht kommt. Für die vom Atlantik heranziehenden Wolken sind die Vogesen das erste nennenswerte Hindernis, an dem sie abregnen. Entsprechend fallen auf der Westseite und in der Höhe oft ergiebige Niederschläge.

Wie der Hauptkamm bildet auch der EHWS-Querkamm der Vogesen eine Barriere, die mehr umfahren denn überwunden wird. Das obere Moseltal ist immerhin von Norden her auch mit öffentlichem Verkehr (bis Remiremont mit einer Bahn-, ab da mit einer Buslinie), ansonsten aber nur für den Privatverkehr erschlossen: etwa von Süden her durch die Nationalstrasse N57 und von Osten her durch die N66 über den den Hauptkamm querenden Col de Bussang. Das Dollertal ist per Bus von Mulhouse aus erreichbar, der Ballon d’Alsace nur während der Skisaison von Belfort her. Drei Passstrassen überqueren den Kamm, nämlich über den auch schon von der Tour de France besuchten Col du Mont de Fourche, den Col des Croix und den Col du Ballon d’Alsace, wobei der letztgenannte lediglich touristische Bedeutung hat.

Viel Natur und gute Wanderwege

GR7 auf dem Kamm, Nähe Châlet des Gardes.
GR7 auf dem Kamm, Nähe Châlet des Gardes.

Zum Wandern eignet sich die Gegend hervorragend. Ihr waldreicher Mittelgebirgscharakter ermöglicht verschiedene Geh-Rhythmen mit abwechselnden Anstrengungs- und Schwierigkeitsgraden. Die Wälder bieten Schutz und die oft baumarmen Höhen weite Himmel mit zuweilen unendlichen Fernsichten. Es steht ein dichtes und meist gut markiertes Netz von Wanderwegen, zu dem auch mehrere Fernwanderwegabschnitte gehören, zur Verfügung. Unterkunfts-, Verpflegungs- und Transportmöglichkeiten sind freilich nicht allzu dicht gesät und die Angebote teilweise auf den Winter beschränkt. Dafür findet man Stille und abseits der Skipisten ziemlich intakte Natur.

Fernsicht vom Ballon d'Alsace.
Fernsicht vom Ballon d'Alsace.

Meine Wanderstrecke verlief nahezu vollständig innerhalb des Regionalen Naturparks «Ballons des Vosges». Dieser ist so benannt nach den für die Südvogesen (wie im Übrigen auch für den Hochschwarzwald) charakteristischen Formen der Berge: von eiszeitlichen Gletschern gerundete, oft baumfreie Kuppen, die sich meist nur leicht über die ansonsten dicht bewaldeten Hänge und die oft über 1000 m hohen Kammrücken erheben. Sie werden auf Französisch «Ballon», auf Deutsch «Belchen» und im lokalen Elsässer Dialekt «Kopf» genannt. Im westlichen Teil ging ich teils auf dem Kammrücken, teils durch dessen moselseitige Wand diesen von weitem kaum voneinander zu unterscheidenden Ballons entgegen. Für Ortsunkundige bietet nur die hohe, weithin sichtbare Antenne, die auf dem vom Militär genutzten Ballon de Servance steht, eine gewisse Orientierung. Aussicht bietet dieser waldreiche und stille Teil aber ohnehin nicht allzu viel, abgesehen von immer wieder wechselnden Perspektiven durch das U-förmige Moseltal hinauf oder hinunter. Im Gebiet der Ballons verändert sich dies dann aber vollkommen: Vom Ballon de Servance, vor allem aber vom Ballon d’Alsace aus blickt man scheinbar unendlich weit in fast alle Himmelsrichtungen. Und bei der Fortsetzung bis zum Tremontkopf lässt sich dies weiter geniessen, da der Weg über einige der charakteristischen, baumlosen Vogesenhochweiden («Hautes chaumes») führt. Beim Abstieg zur Burgundischen Pforte endet die Wanderung dann so, wie sie begonnen hat: im Wald.

Drei Tage im Frühjahr, zwei im Herbst

Den westlichen Teil dieses EHWS-Abschnitts habe ich auf einer Dreitagewanderung am Auffahrtswochenende, den östlichen auf einer Zweitagewanderung im Herbst begangen. Ohne die Unterbrechung im Frühjahr – die im Herbst einen zweiten Aufstieg erforderlich machte – , wären nur vier Tage nötig gewesen, und die Gesamtdistanz würde (ohne Doppelbegehungen) rund 74 km betragen.

Für den grössten Teil der Strecke nutzte ich den Fernwanderweg GR7, der die EHWS in mehr oder weniger grosser Nähe von den Pyrenäen bis auf den Ballon d’Alsace begleitet. Von dort weiter nach Osten folgte ich einem Abschnitt der «Traversée des Hautes Vosges» (auch als «Vogesendurchquerung» bekannt). Für den Zweitaufstieg von Süden her zum Ballon d’Alsace nutzte ich ein Teilstück des GR5.

Zur Orientierung habe ich Wanderkarten des Club Vosgien benutzt. Hilfreich war zudem die Website «Le GR7 du Ballon d'Alsace à Andorre à pied». Deren Autor hat den französischen GR7 in seiner gesamten Länge in umgekehrter Richtung abgewandert und beschrieben.

Zum Ausgangspunkt in Remiremont bin ich von Bern aus per Bahn via Belfort und Épinal angereist. Nach zwei Übernachtungen in Chambres d’hôtes (B&B’s) auf dem Land hat meine Frau mich am dritten Tag mit dem Auto auf dem Ballon d’Alsace abgeholt. Für die Zweitagewanderung im Herbst bin ich selbst mit dem PW an- und zurückgereist; diesen habe ich am Zielort Rougemont-le-Château geparkt und bin von dort per Bus (zweimal Umsteigen) zum Startort Lepuix angereist. Übernachtet habe ich im Hotel auf dem Ballon d’Alsace.

Wetterglück

In Anbetracht des statistisch so regenreichen Klimas der Vogesen-Westseite war ich vom Glück begünstigt: Sowohl an den drei Frühlingstagen als auch an jenen im Herbst habe ich überwiegend sonniges und trockenes Wetter angetroffen. Erst auf den letzten paar Kilometern – ausgerechnet in dem an sich trockeneren Osten – bekam ich ein paar Tropfen ab. In Erinnerung bleiben mir unter anderem das satte Grün von Wäldern und Wiesen und das Gelb des allenthalben blühenden Ginsters vom Frühjahr und das rote Leuchten von Blaubeer- und anderem Heidegesträuch vom Herbst.

 

Mit der Ankunft in Rougemont-le-CHâteau am 12. Oktober 2019 habe ich die Wanderung entlang des EHWS-Abschnitts durch die Vogesen abgeschlossen.

Etappierung

Unten siehst du, wie ich die Strecke in Etappen eingeteilt habe.

Etappe 1 (30. Mai 2019) Remiremont - Les Fèches 12,5 km / 3h42'
Etappe 2 (31. Mai 2019) Les Fèches - Le Baudy
23,5 km / 7h09'
Etappe 3 (1. Juni 2019) Le Baudy - Ballon d'Alsace
18,8 km / 6h10'
Etappe 4 (11. Oktober 2019) Lepuix - Ballon d'Alsace
10,1 km / 3h30'
Etappe 5 (12. Oktober 2019) Ballon d'Alsace - Rougemont-le-Château
22,3 km / 6h45'

Voriger Projektabschnitt noch ausstehend

Nächster Projektabschnitt:


Tagesberichte

Wie es mir beim Wandern ergangen ist, kannst du in meinem Blog nachlesen. Unten gehts direkt zu den entsprechenden Tagesberichten.


Tanzen auf des Wassers Sch(n)eide

EHWS  Vogesen, Etappe  1: Remiremont - Les Fèches (L'Envol)

Vor Les Fèches. Im  Hintergrund Hochvogesen.
Vor Les Fèches. Im Hintergrund Hochvogesen.

Das Auffahrts-Wochenende nutzte ich für den Start zum Vogesen-Abschnitt der EHWS-Wanderung. Von Remiremont an der Moselle stieg ich in einer gemütlichen Halbtagesetappe auf jenen nicht sehr hohen Hügelzug hinauf, der das obere Moseltal gegen Südwesten abschirmt und vom Einzugsgebiet der Saône trennt. Auf der Wasserscheide wurde getanzt, und sie teilte meine Nacht: Denn ich ass auf der Mittelmeer- und schlief auf der Nordsee-Seite.

mehr lesen 0 Kommentare

Vor Sisyphus verneigt, dem Zerberus getrotzt

EHWS  Vogesen, Etappe  2: Les Fèches (L'Envol) - Le Baudy

Oberes Moseltal, Blick talaufwärts.
Oberes Moseltal, Blick talaufwärts.

Eine schöne Wanderung stehe mir bevor, prophezeite man mir beim Aufbruch; an einer Stelle jedoch müsse ich mich in Acht nehmen, dort lauere Ungemach. Die orakelähnliche Voraussagung stimmte mich auf die Figurenwelt der griechischen Mythologie ein: Die nicht enden wollenden Wechsel von Auf- und Abstiegen erinnerten mich an Sisyphus, und die Hunde, die mich abschrecken wollten, an den Höllenhund Zerberus.

mehr lesen 0 Kommentare

Bälle vor und unter den Füssen

EHWS  Vogesen, Etappe  3: Le Baudy - Ballon d'Alsace

Ballon d'Alsace, Blick nach Osten.
Ballon d'Alsace, Blick nach Osten.

Es war schon mein dritter Tag im Gebiet des Naturparks «Ballons des Vosges», aber mit «Ballons» (zu Deutsch «Belchen», oder auch «Bälle») bekam ich es erst heute zu tun: Es stellten sich mir zwei der höchsten Berge der Südvogesen in den Weg. Bei erstmals sommerlichem Wetter wollte zuerst der Ballon de Servance erklommen werden, dann folgte der Ballon d’Alsace. Als Lohn wartete eine einzigartige Rundsicht über ein grosses Stück Mitteleuropa.

mehr lesen 0 Kommentare

Woher die Säge kommt

EHWS  Vogesen, Etappe  4: Lepuix - Ballon d'Alsace

Sentier des Cascades.
Sentier des Cascades.

Um die im Frühling auf dem Elsässer Belchen unterbrochene Wanderung fortzusetzen, stieg ich im Herbst ein zweites Mal dort hinauf. Diesmal näherte ich mich ihm von Süden her: einem Flüsschen entlang zuerst gemütlich bis an den Vogesenfuss und dann steil neben einer Abfolge von tosenden Wasserfällen durch Wald hinauf bis zur Quelle unterhalb des Gipfels. «La Savoureuse» nennt sich das Flüsschen – was offenbar auf ein altes Dialektwort für «Säge» zurückgeht.

mehr lesen 0 Kommentare

Manche Grenzen sind vergänglicher als andere

EHWS  Vogesen, Etappe  5: Ballon d'Alsace - Rougemont-le-Château

Bei Lochberg, Blick zum Grand Ballon (Bildmitte).
Bei Lochberg, Blick zum Grand Ballon (Bildmitte).

Die letzte Vogesenetappe verlief über weite Strecken exakt auf der EHWS. Sie begann auf dem Berg als Kammwanderung, führte über Hochweiden und später durch Wald und endete mit dem Abstieg ins Flachland der Burgundischen Pforte. Historische Grenzsteine am Wegrand erinnern an eine Epoche, in der sich hier nicht nur Gewässer, sondern auch Länder geschieden haben. Ich zog bei Sonnenschein los; aber es ging ein giftig kühler Wind, und nachmittags wurde die Stimmung immer herbstlicher.

mehr lesen 0 Kommentare