EHWS Vogesen, Etappe 5: Ballon d'Alsace - Rougemont-le-Château
Die letzte Vogesenetappe verlief über weite Strecken exakt auf der EHWS. Sie begann auf dem Berg als Kammwanderung, führte über Hochweiden und später durch Wald und endete mit dem Abstieg ins Flachland der Burgundischen Pforte. Historische Grenzsteine am Wegrand erinnern an eine Epoche, in der sich hier nicht nur Gewässer, sondern auch Länder geschieden haben. Ich zog bei Sonnenschein los; aber es ging ein giftig kühler Wind, und nachmittags wurde die Stimmung immer herbstlicher.
Vom Hotel aus hätte ich auf der Strasse direkt in Richtung jenes Kammes gehen können, der die Linie des südlichen Moseltalrandes, dem ich seit Remiremont gefolgt war, nach Südosten fortsetzte. Da ich aber nicht darauf verzichten wollte, den Belchenrücken nach den beiden Begehungen vom Frühling auch ein drittes Mal zu überschreiten, wandte ich mich zuerst rückwärts zum Col. Damit gelangte ich auch gleich wieder zur Hauptwasserscheide (und damit zur Regionalgrenze zwischen Grand-Est und Bourgogne-Franche-Comté); ich sollte sie heute kaum je verlassen. Ihr entlang ging es am Westfirst des Gipfeldaches wieder auf den Kamm hinauf, wo Jeanne d’Arc auf ihrem bäumenden Pferd thronte. Die Bronze-Statue war, so hatte ich inzwischen recherchiert, 1909 hier errichtet worden – und zwar so, dass sie über die Kante hinaus über das obere Moseltal nach Westen schaute, wo sie die Hoffnung auf die Rückgewinnung des an das Deutsche Reich verlorenen Elsass wecken sollte.
Ballon d'Alsace - Rougemont-le-Château |
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Etappe | EHWS Vogesen, Nr. 5 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Zeit | 22,3 km / 6h45' |
Auf- / Abwärts | 416 m / 1'133 m |
Höchster Punkt | 1'247 m (Ballon d'Alsace) |
Tiefster Punkt | 450 m (Rougemont-le-Château) |
Fernwanderwege | GR5/7 (wenige Meter) |
Durchgeführt | Samstag, 12. Oktober 2019 |
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Doch 50 Jahre später – die Hoffnung hatte sich längst erfüllt, das Kriegsbeil war begraben und der Grundstein für die europäische Einigung gelegt – hat man sie um 180 Grad gedreht. So blicken Pferd und Reiterin heute exakt in die entgegengesetzte Richtung: nämlich dem nahezu flachen Gipfelkamm entlang nach Osten, dem Moseltal ab- und dem Elsass zugewandt. Also in meine Gehrichtung.
Auf Entdeckungspfaden (in Feld und Wikipedia)
Statt des breiten Kammwegs wählte ich den «Sentier de découverte», der an der nördlichen Plateaukante entlang führt. An der Traufe hatten im Juni noch Schneeresten gehangen, jetzt schien sie in Flammen zu stehen – so kräftig leuchtete das Rot des Blaubeergesträuchs, das sie überall bewuchs. Entdecken liess sich aber auch anderes: Etwa, dass der Blick zunächst tief in das Tal eines Mosel-Zuflusses hinabfiel, nach einigen Schritten aber in einen ebenso tiefen Trog, der sich jenem entgegengesetzt nach Osten öffnete. Und dass sich zwischen diese Täler eine Wellenlinie aus blaugrünen Hügeln schob, die Richtung Norden zu einem Meer solcher Kuppen davonzog. Das war der Vogesenhauptkamm, der am Ballon d’Alsace beginnt (oder endet) und nicht nur die historischen Regionen Lorraine (Lothringen) und Alsace (Elsass), sondern auch die Einzugsgebiete der Rhein-Nebenflüsse Moselle und Ill scheidet: Das ostwärts gerichtete Tal – von dessen Grund schimmerte ein im Gegenlicht spiegelndes Seelein herauf – wird nämlich von der Doller durchflossen, die in Mulhouse in die Ill mündet.
Über diese Trennlinie hat sich einst während eines halben Jahrhunderts aber auch die deutsch-französische Grenze gezogen. Vom Vogesenhauptkamm aus setzte sie sich an der Ostkante des Belchenplateaus fort, um weiter dem Kamm zu folgen, der den Südrand des Dollertals bildet. Dass Deutschland somit hier – an der Wasserscheide zwischen Rhein und Rhone – endete und nicht bis an den Westrand des Elsässer Belchens reichte (wo jetzt die Jeanne d’Arc-Statue steht), war Bismarcks Wille zu verdanken, die neue Grenze möglichst mit jener der Sprachen zusammenfallen zu lassen. So wurde der überwiegend französischsprachige Südzipfel des Elsass kurzerhand von dessen damals deutschsprachigem Hauptteil abgetrennt. So las ich es auf Wikipedia.
Alles Vergangenheit? – Nicht ganz: Die Landesgrenze liegt zwar längst wieder am Rhein, und die Sprachgrenze hat sich verflüchtigt, aber jene Abtrennung hat bis heute Bestand. Was etwa zur Folge hat, dass der Ballon zwar nach wie vor «d‘Alsace» heissen mag, sein Gipfel aber um wenige Meter ausserhalb des Elsass auf Belforter Territorium steht.
Die Sicht von dort oben war heute weniger klar als im Frühling: Schleierwolken und Dunst verbargen Jura und Alpen im Süden ebenso wie den Schwarzwald im Osten. Gut liess sich hingegen die Fortsetzung der EHWS überblicken, jenen nur wenig niedrigeren Dollertalrand, der sich über mehrere, teils baumlose, teils bewaldete Kuppen zur Burgundischen Pforte hin zog. Der ihm folgende Weg wurde durch ein rotes Reckteck gekennzeichnet. (Es gehört zur «Traversée du Massif des Vosges», einem auch als «Vogesendurchquerung» bekannten Fernwanderweg.) An der Mariastatue vorbei wies dieses mich über Stufen zurück auf die Passstrasse hinunter. Damit war auch meine dritte Schlaufe über den Belchen vollzogen.
Weiter Himmel, hohe Weiden
Zeit also, ihm Adieu zu sagen und weiterzuziehen. Die Strasse gleich wieder verlassend, ging ich weglos auf Gras über den schmalen Sattel, der in einem Bogen zu dem Kamm hinüberführte, und dann durch eine Waldschneise auf dessen erste Kuppe hinauf. Von nun an wechselten sich kurze, manchmal auch etwas schweisstreibende Auf- mit ebensolchen Abstiegen ab, dazwischen gabs auch reichlich Flachstücke, wo der Wind manchmal frösteln liess. Meine Textilschale musste ich denn auch mehrmals anpassen. Immer wieder passierte ich Zeugen aus jener von 1871 bis 1918 dauernden Annexionszeit: Grenzsteine mit den eingemeisselten Buchstaben «F» auf der einen und «D» auf der andern Seite.
Die ersten Anhöhen werden noch von Skianlagen dominiert, und ein oder zwei Mal hat der Wanderweg noch Kontakt mit der Passstrasse, bevor diese sich entzweit und sich nach beiden Seiten hin vom Kamm verabschiedet. Danach aber wurde es ausgesprochen sanft und ruhig: Etwa eine Stunde lang schritt ich unter weitem Himmel über die «Hautes Chaumes» von Plain de la Gentiane, Wissgrut und Tremontkopf dahin, ein zusammenhängendes Band von baumlosen Vogesen-Hochweiden, das sich über den Rücken des an den Hängen ansonsten dicht bewaldeten Kammes erstreckt. Auf dem höchsten Punkt, dem Wissgrut, bot sich noch einmal eine eindrückliche Rundumsicht (was die Mariastatue, die offenbar auch hier nicht fehlen darf, nicht davon abhält, immer nur in die gleiche Richtung zu schauen).
Lauter werdendes Rauschen
Nach einem besonders gut erhaltenen Grenzstein auf dem Tremontkopf begann eine längere Waldstrecke, auf der der Weg auch einmal ein Stück weit auf der Rhein-Seite des Kamms durch den Hang führte. Mit der Zeit fiel mir ein Rauschen auf, das allmählich lauter zu werden schien. Schon glaubte ich mich einem Bach zu nähern – wobei es nicht die Doller sein konnte, denn dafür schien mir das nur wenige Meter weiter unten entspringende Rinnsal noch zu jung. Als ich aber auf die Lichtung des Skigebiets Fennematt-Lochberg hinaustrat, erwies es sich als das Rauschen des Windes. Offenbar war er energischer geworden. Die Mulde, über die sich die Lichtung erstreckte, war freilich vor ihm geschützt: Vereinzelt sassen oder lagen Leute im Gras und genossen die Sonne und ein Stücklein Aussicht Richtung Schwarzwald; im Nachmittagslicht war er nun besser zu erkennen. Ein Genuss, der aber wohl nicht mehr von Dauer sein konnte, denn wie mir beim Wiederaufsteigen ein Blick zurück zeigte, rückte von Westen her rasch eine dunkle Wolkendecke näher. Ich selber musste die Sonne ohnehin entbehren, denn auf dem wiedergewonnenen Kamm nahm mich der Wald wieder auf und wollte mich nicht so bald wieder hergeben.
Ausser Grenzsteinen nichts zu bieten
Ohne Anstrengung erreichte ich den Baerenkopf. Er erwies sich als absolut unscheinbarer Gipfel: nur einfach ein Punkt im Wald, von dem sich Gelände und Wege abwärts senkten. Lediglich ein kleines Fragment der Ebene war zwischen den Bäumen hindurch unter grauem Himmel zu erspähen. Nach einem kurzen Abstieg verflachte der Weg schon wieder, nun brach der Kamm an der Nordseite scharf ab. Aber nur ein einziges Mal öffnete sich an der felsigen Kante ein Fenster zwischen den Bäumen und gab einen Blick ins Dollertal frei; er wirkte unfreundlich düster. Bald spürte ich auch erste Regentropfen. Ich folgte dem sich leicht abwärts neigenden Kamm noch bis zu der Stelle, wo der Weg mit dem roten Reckteck diesen verliess, um linksseitig nach Masevaux hinabzusteigen. Das war der 919 Meter hohe Sudel, der letzte auf der Karte als Berg verzeichnete Punkt des Kamms. Aber auch er hatte nichts zu bieten ausser einer kleinen Picknick-Stelle mit Tisch und Bänken – und einem weiteren Grenzstein von 1871.
Hier verabschiedete ich mich vom Kamm und der EHWS, kehrte ein kurzes Stück zurück und nahm die Abzweigung, die gemäss Wegweiser nach Rougemont führte. In knapp 40 Minuten stieg ich nun 470 Höhenmeter in die Tiefe. Als ich kurz nach Fünf aus dem Wald trat und die ersten Häuser von Rougemont-le-Château passierte, regnete es nur noch tröpfchenweise. Aber da sich die Ebene hinter dem Dorf in einer trüben grauen Sauce namens Himmel aufzulösen schien, kam es mir vor, als schritte ich direkt in den Herbst, wenn nicht in den Winter hinein. Bei der Kirche bestieg ich das gestern Morgen dort parkierte Auto und liess die Vogesen und ihre Grenzgeschichten hinter mir.
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