Die panjurassische Magistrale

Von der Rhône bis zum Main (1996 - 2006)

Als Jura-Magistrale bezeichne ich eine Fernwanderung, die sich nahezu über die gesamte Länge des Jura-Gebirges im weiteren Sinne erstreckt. Ihre Endpunkte liegen im Süden beim Knick der Rhône östlich von Lyon und im Norden am Oberlauf des Main. Ich habe sie im Zeitraum von 1996 bis 2007 in ingesamt 69 Tagesetappen, verteilt auf elf Teilstücke, bewältigt. Alles in allem – Abstecher, Varianten und Doppelbegehungen mitgerechnet – habe ich dabei gegen 1‘700 Kilometer zurückgelegt. Der höchste Punkt der Route lag mit 1‘717,6 Metern auf dem Crêt de la Neige im französischen Hochjura, der tiefste auf 215 Meter beim Rhone-Knick, am südlichen Endpunkt.

Die Route verbindet die im erdgeschichtlichen Zeitalter des Jura entstandenen Mittelgebirge des Französisch-schweizerischen Jura und der Schwäbischen und Fränkischen Alb. Ausgehend von einem Gebiet im westlichen Savoyen, wo sie von den Alpen abzweigt, beschreibt die Gebirgsgruppe einen zusammenhängenden, zunächst nach Nord weisenden, dann sich allmählich nach Nordost bis Ostnordost krümmenden Bogen, der bis in den Grossraum Nürnberg reicht; das östlichste Glied der Gruppe – die Fränkische Alb – ändert dann freilich abrupt die Richtung und „schwingt“ gewissermassen um das Becken der fränkischen Metropole herum nach Nordwesten zurück. Die Höhen nehmen von Südwest nach Nordost tendenziell ab: Im Französischen Jura erreichen die höchsten Erhebungen bis zu rund 1700 Meter; auf der Schwäbischen Alb sind es noch knapp über 1‘000 Meter und auf der Fränkischen Alb rund 600 Meter.

 

Entstanden vor etwa 200 bis 150 Millionen Jahren aus den entlang der Küste des Tethys-Meeres abgelagerten Kalk-, Ton- und Mergelschichten, bildet der Jura ein grosses zusammenhängendes Karstgebiet. Poröses Gestein und entsprechend wasserarme Oberflächen, Dolinen, Karstquellen und Höhlen mit und ohne Tropfsteinbildung sind typische Phänomene, die man in allen Gebirgsteilen antrifft. 


Jura-Magistrale
Länge

1'686 km

(Hauptroute: 1'525 km;

"Magistrale Plus": 161 km)

Zeit 69 Tage
Höchster Punkt 1'717,6 m (Crêt de la Neige)
Tiefster Punkt 215 m (Mûrs-et-Gélignieux)
Aufbruch 2. September 1996
Abschluss 28. April 2007
Abschnitte

I: Mont Soleil - Crassier

II: Dielsdorf - Les-Hauts-Geneveys

III: St-Cergue (CH) - Mûrs-et-Gélignieux (F)

IV: Dielsdorf (CH) - Sigmaringen (D)

V: Tuttlingen - Burg Hohenzollern

VI: Bisingen - Owen (Teck)

VII: Owen (Teck) - Bopfingen

VIII: Bopfingen - Hechlingen/See

IX: Hechlingen - Altdorf/Nürnberg

X: Altdorf - Lichtenfels

"Plus": Vuiteboeuf - Balsthal

Weitere Facts & Figures:

zur Hauptroute der Jura-Magistrale

zur Jura-Magistrale "Plus"



Nebst Gemeinsamkeiten lassen sich aber auch klare Unterschiede ausmachen. So wurden die Gesteinsschichten im südlichen Teil im Zuge der Alpenbildung gefaltet, im nördlicheren jedoch nicht. Man unterscheidet deshalb zwischen Falten- oder Kettenjura einerseits und Tafeljura andererseits. Während der französische Hochjura und der grösste Teil des Schweizer Juras durch parallel verlaufende, langgezogene, teils von kantigen Kreten gekrönte Hügelkämme und die durch diese gebildeten Längstäler gekennzeichnet sind, prägen in den ungefalteten Teilen im Westen und Norden abgeplattete Einzelberge oder grossflächigere, zusammenhängende Plateaus, auch «Albhochfläche» genannt, das Bild.

Unterschiede zeigen sich auch bei den Übergängen zu den benachbarten Landschaften. So senkt sich der Faltenjura zu den Niederungen von Saône-Rhône-Senke und Burgundischer Pforte im Westen und Norden stufenweise ab; im Süden dagegen fällt seine höchste Falte steil zu Genfersee und Schweizer Mittelland hinunter. Nördlich des Hochrheins ist es gerade umgekehrt: Die Schwäbische Alb hebt sich im Süden nahezu unmerklich sanft aus dem Alpenvorland empor, um dann aber im Norden entlang einer «Albtrauf» genannten Kantlinie jäh zur vorgelagerten Schichtstufenlandschaft abzufallen.

Vierfache Berührung mit der Hauptwasserscheide

Flusstäler kerben sich zum Teil tief in den Gebirgskörper ein und zergliedern diesen. An einigen Stellen wird der Jura gar in seiner ganzen Breite durch Flüsse durchbrochen, die von aussen her kommen. In mehreren markanten Knicks tut das die Rhône im Süden; direktere Wege gehen Aare, Rhein, Donau und deren Nebenflüsse Wörnitz und Altmühl und schliesslich ganz im Norden auf einem kurzen Stück der Main. Spektakuläre Durchbruchstellen sind etwa der Rheinfall bei Schaffhausen und wenig nordöstlich davon das Donaudurchbruchtal zwischen Tuttlingen und Sigmaringen.

Entwässert wird der Jura durch alle diese Flüsse zu drei verschiedenen Meeren hin, nämlich zur Nordsee, zum Westlichen Mittelmeer und zum Schwarzen Meer. Auf der Wanderroute begegnet man denn auch mehrfach der Europäischen Hauptwasserscheide (EHWS). So überschreitet man beim Mont Tendre im Schweizer Jura die Trennlinie zwischen Nordsee und Mittelmeer, während man im deutschen Teil gleich in drei Abschnitten auf jene zwischen Nordsee und Schwarzem Meer trifft: nämlich nördlich des Randen, wo man sie rechtwinklig überschreitet, dann am Trauf der Schwäbischen Alb, wo sie einen rund 200 Kilometer lang begleitet, und schliesslich am Trauf der Fränkischen Alb, wo sie nochmals ein Stück weit dasselbe tut.

Grossteil auf Fernwanderwegen

Die Jura-Magistrale ist zu einem grossen Teil auf Fernwanderwegen begehbar. Zwischen Culoz im französischen Südjura und Bülach im nordschweizerischen Mittelland folgt sie mit nur wenigen Unterbrüchen dem Europäischen Fernwanderweg E4 (Spanien - Ungarn - Zypern), und im deutschen Teil von Tuttlingen an der Donau bis zum Endpunkt Lichtenfels am Main fast durchgehend den regionalen Fernwanderwegen HW1 (Schwäbische-Alb-Nordrandweg) und Fränkische Alb-Westrandweg beziehungsweise dem Frankenweg. Im Süden führt sie mehrheitlich über die Kreten der höchsten Jurafalte (in deren Schweizer Abschnitt auf dem Jurahöhenweg), im Norden dem Albtrauf entlang. Grossartige Fernsichten bieten sie in beiden Abschnitten: hier über Genfersee und Mittelland zu den Alpen, dort über die schiere Endlosigkeit der sanft modulierten süddeutschen Schichtstufenlandschaft hin.

Für einzelne Teilstücke bin ich allerdings von dieser Route abgewichen. So startete ich auf einer der weniger bekannten hinteren Falten des Schweizer Juras und holte den Weg über die südliche Krete erst später nach (man findet diese Alpenblick-Variante hier unter der Bezeichnung «Magistrale Plus»); oder etwa in der Schwäbischen Alb folgte ich zunächst dem Südrandweg durch das Donaudurchbruchtal, bevor ich mich für die nördliche Route entlang des Traufs entschied.

Mutter meiner Fernwanderungen

Untypisch für eine Fernwanderung, liess ich die einzelnen Abschnitte vor allem in den ersten Jahren nicht linear aufeinander folgen; zudem beging ich sie in entgegengesetzten Richtungen. Dies hängt mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammen. Denn sie war nicht im Voraus als Fernwanderung geplant, sondern ist vielmehr nach und nach, sozusagen aus sich selbst heraus entstanden. Als ich 1996 zum ersten Mal ein paar Tageswanderungen im Jura aneinanderreihte, hatte ich noch keine Ahnung, dass es lediglich der Beginn einer grösseren Unternehmung war. Aber es folgte eine zweite Serie, und so ging es weiter: Mit jedem Wanderabschnitt wuchs der Wunsch nach mehr – und daraus schliesslich die Jura-Magistrale. Es war meine erste grosse Fernwanderung – und weil sie nicht die letzte war: die Mutter aller meiner Fernwanderungen.

Spiegel des Technologiewandels

Ihre Geschichte widerspiegelt auch die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie in jener Zeit. In den 90er-Jahren war es noch sehr schwierig, beispielsweise in der Schweiz an Informationen über Jura-Gebiete jenseits der Landesgrenzen zu kommen. Das Internet war erst dabei, in der Geschäftswelt allmählich zum Standard zu werden; über nicht direkt kommerzielle Themen gab es online erst dürftige Informationsangebote. Sowohl geografische Basisinformationen wie auch Kartenmaterial oder Routenbeschreibungen musste ich entweder auf dem Postweg oder vor Ort durch Stöbern in Buchhandlungen beschaffen. In Büchern wurden freilich fast ausschliesslich regional oder national eingeschränkte Sichtweisen wiedergegeben, die so taten, als ob der Jura unmittelbar hinter den jeweiligen Landesgrenzen enden würde. Landschafts- und naturräumliche Betrachtungsweisen, frei von politischen Grenzen, waren nicht verbreitet. So konnte ich mir das Wissen über die Region und nützliche Infrastrukturen nur häppchenweise nach und nach erwerben. Zum Beispiel wusste ich nichts über das Wandern auf der Schwäbischen Alb, bis ich in Tuttlingen an deren Fuss stand und in einer Buchhandlung auf einen Wanderführer des Schwäbischen Albvereins stiess. Rückblickend mutet das fast wie ein anderes Zeitalter an: Heute finde ich im Internet innert Minuten, schlimmstenfalls Stunden sämtliche Informationen, die ich damals mühsam über die Jahre hinweg als einzelne Puzzleteile aufspüren und zusammenfügen musste.

Ein anderer Aspekt des Technologiewandels betrifft die Fotografie. Während ich heute jede Wanderetappe mittels Digitalkamera oder Smartphone ausgiebig visuell dokumentiere, existieren von der Jura-Magistrale keine Bilder, weil zu deren Anfangszeiten noch analoge Kameras üblich waren, die mir jedoch beim Wandern zu schwer und das Arbeiten mit ihnen zu zeitraubend waren. Die ersten Fotos von einer Fernwanderung knipste ich auf dem letzten Teilstück der Jura-Magistrale, im Norden der Fränkischen Alb. Das war im Jahr 2006.

Jederzeit zu empfehlen

Eingeprägt hat die Jura-Magistrale sich mir freilich auch ohne Fotos. Ich erinnere mich an sie vor allem als Fernwanderung der weiten Ausblicke, der regelmässigen Gehrhythmen und der Stille. Die Wege sind angenehm, gut unterhalten und bestens markiert. Die Geländeformen erlauben wahlweise zügiges Fortschreiten oder geniessendes Flanieren, abwechselnd mit fordernden, aber nicht übermässig langen Ab- und Aufstiegen.

In unmittelbarer Nähe von grossen Wirtschafts- und Siedlungsräumen findet man hier – der Abwesenheit von Grossstädten und Massentourismus sei Dank – erstaunlich viel Ruhe. Da der Jura aber durchaus besiedelt ist und den Ballungsgebieten in seiner Nachbarschaft als Naherholungsgebiet dient, ist er dennoch mit Infrastrukturen gut erschlossen. Zu beachten ist, dass Unterkünfte unter der Woche oft einen oder zwei Ruhetage haben und ausserhalb der Hauptsaisons – dazu zählt manchenorts auch der Winter – teilweise ganz geschlossen sind. Zudem sind Anbindungen an öffentliche Verkehrslinien nicht überall gegeben und manchmal nur spärlich bedient; es ist daher gut, einige Nummern von Taxibetrieben bei sich zu haben. Mit diesen Hinweisen würde ich die Jura-Magistrale jedem und jeder Fernwander-Interessierten ohne Zögern wärmstens empfehlen. Wie auch den Jura überhaupt, in dem ich auch heute noch immer wieder gerne verweile und wandere.