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Die letzten Stunden Ruhe

EHWS Andalusien, Etappe 11: Montejaque - Ronda

Blick über das Guadiaro-Tal nach Ronda.
Blick über das Guadiaro-Tal nach Ronda.

Das letzte Stück meiner diesjährigen Andalusien-Wanderung war wieder ein kurzes, eigentlich eine Halbtagesetappe: Als Endstation hatte ich Ronda bestimmt, weil es von hier aus gute Verkehrsverbindungen nach Málaga gab, von wo aus ich am Montag in die Schweiz zurückfliegen musste. Bis Ronda ist es von Montejaque aus etwa drei Wanderstunden. Das Wetter hat wie angekündigt gedreht: Es hatte viel mehr und zum Teil bedrohlich dunkle Wolken, es war windiger und kühler als an den vergangenen Tagen – aber noch drang die Sonne durch, noch war es trocken.

Zwei letzte Steilstücke

Zur Ermita empor.
Zur Ermita empor.

Meine Route führte mich ostwärts, der Morgensonne entgegen. Sie wartete mit zwei letzten Steilstücken auf: Das eine kam gleich zu Beginn, das andere bildete das Finale. Das erste: Montejaque liegt auf einem Balkon am oberen Ende eines zum Flusstal des Guadiaro abfallenden Bergtals; in das Dreieck zwischen den beiden Tälern schiebt sich wie ein Kuchenstück ein Felsriegel. Auf diesen geht es steil, aber kurz hinauf: Über einen gepflästerten Zickzackweg erreiche ich eine halbe Stunde nach dem Aufbruch das Plateau. Beim Aufsteigen bieten sich faszinierende Blicke auf den Cerro Hacho, den als Wahrzeichen über dem Dorf thronenden Felszacken, auf das vom Morgenlicht gestreifte, weisse Montejaque selbst und das tiefer unten im Tal liegende Benaoján, ein weiteres pueblo blanco. Oben steht eine hübsche und ebenfalls weisse Kapelle. Nach Durchschreiten eines von Felsrippen umrahmten flachen Grasplateaus öffnet sich die Landschaft abrupt: Ich blicke in einen weiten Trog hinunter, auf dessen Boden sich ein Flusslauf sowie Verkehrswege und einzelne Häuser andeuten, und erahne auf der gegenüberliegenden Seite im Dunst des Gegenlichts ein Felsband, im Hintergrund überragt von den Silhouetten höherer Berge. Das Felsband ist die berühmte Klippe von Ronda, bei verändernder Perspektive erkenne ich Häuser auf deren Kante.


Montejaque - Ronda
Etappe EHWS Andalusien, Nr. 11
  (Fernwanderprojekt EHWS)
Länge / Dauer 10,8 km / 3h10'
Auf- / Abwärts 381 m / 354 m
Höchster Punkt 741 m (Ronda, Plaza Pruna)
Tiefster Punkt 466 m (Arroyo de la Alhaja)
Fernwanderwege E4 (GR7)
Durchgeführt Samstag, 22. Oktober 2016
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www.wandermap.net © Toursprung © OSM Contributors


Wie der Herbst beginnt

Vor Bahn- und Guadiaro-Querung.
Vor Bahn- und Guadiaro-Querung.

An vielen Agaven vorbei geht es eine Weile dem Troghang entlang, dann fällt der Weg rechtwinklig zur Talsohle hinab, wo eine Bahnlinie und kurz darauf ein Bach gequert werden. Die Bahnlinie ist eine alte bekannte, nämlich die vor einigen Wandertagen in der Gegend von Castellar und Jimena de la Frontera mehrfach berührte und überquerte Verbindung von Algeciras nach Granada. Der Bach mündet direkt nach der Brücke in einen Fluss, der hier die Strasse mit einer weiten Schlaufe berührt und der ungefähr ab dieser Stelle Río Guadiaro heisst, aber unter den Namen Río Guadalevín oder Río Grande aus der Schlucht von Ronda herunterkommt. Von hohen Pappeln höre ich den Wind rauschen, im Zwielicht sehe ich Laub zu Boden segeln. Ein Zeichen, dass auch hier im fernen Süden jetzt der Herbst beginnt, denke ich.


Der Wanderer mit dem grössten Rucksack

Dann das zweite und letzte Steilstück, der Aufstieg nach Ronda hinauf. Es ist kürzer als ich erwartet habe, schon bald gelange ich auf einer Zwischenstufe zu einem Aussichtspunkt. Wie ein Panorama entfaltet sich hier die langgezogene Klippe mit dem Häuserband darauf vor meinen Augen. Majestätisch breitet sich ihr zu Füssen die weite Landschaft aus. Hier verzweigen sich mehrere Wege, plötzlich bin ich als Wanderer keine Ausnahme mehr, sondern nur noch derjenige mit dem grössten Rucksack. Ich muss mich entscheiden: Nehme ich das Strässchen, das durch die Äcker und Gärten am Fuss des Felsriegels kurvt und vermutlich bei der Schlucht dort hinten zur Stadt hinauf klettert – oder folge ich dem schmalen Pfad, der auf einer Rippe direkt nach oben führt? – Ich will zuerst das Strässchen nehmen – aber dann sehe ich, dass auf ihm ganze Gruppen von Wanderern sowie Radfahrer, ja sogar Leute mit Buggys unterwegs sind, und entscheide mich anders: Wenn ich schon ins Getümmel muss, sage ich mir, dann lieber gleich in die Stadt, dort erwarte ich nichts Anderes. Also steige ich auf dem Fusspfad hinauf und fange auf dem Gang durch ein Pinienwäldchen die letzten Minuten Stille ein, bevor ich die ersten Häuser an der Felskante erreiche. Ein Blick in die Tiefe und weit über das Land, hinüber zu den Bergen von Montejaque und des dahinterliegenden Karsts, von wo ich herkomme – dann tauche ich in die Häuserschluchten und das Tourismusgewühl ein.

Ronda, Plaza del Socorro.
Ronda, Plaza del Socorro.

Es ist kurz nach 13 Uhr, als ich mich auf der belebten Plaza del Socorro hungrig und durstig auf einer Terrasse niederlasse. Für eine warme Mahlzeit ist das zu früh, also beschliesse ich die Wanderung mit einer kalten Tapa und einem Bier. Dann begebe ich mich zum Hotel Maestranza und beziehe mein vorausgebuchtes Zimmer. Etwa 20 Minuten später sehe ich durchs Fenster, dass es regnet.


Abschiedsgruss

Ronda. Blick vom Ponte Nuevo in die Schlucht.
Ronda. Blick vom Ponte Nuevo in die Schlucht.

Am späteren Nachmittag – Regen und Aufhellungen wechselten sich nun in rascher Folge ab – liess ich mich bei einem Rundgang von Rondas Charme und Faszination einnehmen. Nebst den geschichtlichen und städtebaulichen Reizen der Stadt faszinierte mich immer wieder ihre herausragende Lage hoch über der Landschaft, die steile Felswand und vor allem die tiefe Schlucht, welche die Klippe samt Stadt durchschneidet und die durch den imposanten Puente Nuevo überbrückt wird. Gerne wäre ich hinuntergestiegen, aber jetzt hatte ich nur noch leichte Schuhe an, und es war glitschig vom Regen. Ich nahm mir vor, Zeit dafür einzuplanen, wenn ich dereinst wiederkäme, um die Erwanderung des Sendero Andaluz fortzusetzen.

 

Jetzt stand ich auf einer Aussichtsterrasse und konnte nur in die Tiefe staunen. Hinter mir hörte ich einen deutschen Touristen mit seiner Tochter reden. Plötzlich seine Stimme ganz aufgeregt: „Da schau! Das ist ein Geier! Da!“ – Ich hebe den Blick und tatsächlich: nur wenig über mir, fast auf Augenhöhe, aber hoch über der Schlucht, sehe ich einen Geier seelenruhig dahinschweben. Es ist, mitten in der Stadt, wie ein (vorläufiger) Abschiedsgruss aus der Wildnis.

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