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Das Verschwinden der Berge beim Näherkommen

EHWS Andalusien, Etappe 30: Pitres - Trevélez

Das Tal von Trevélez.
Das Tal von Trevélez.

Angesichts immer schlechter werdender Wetterprognosen beschloss ich meine Wanderung heute Abend zu beenden. Am Morgen brach ich aber noch einmal unter strahlendster Sonne auf. Nach drei weissen Hangdörfern stieg ich immer tiefer ins enge Trevélez-Tal hinein und immer höher hinauf. Die Sierra Nevada-Gipfel bekam ich freilich nie zu Gesicht: Je näher ich ihnen kam, desto dichter zogen sich die Wolken um sie zusammen, und bis am Abend hatte sich der Himmel wieder vollständig bedeckt.

Der Himmel war wieder so klar und blau als wäre er niemals anders gewesen und würde auch nie wieder anders sein. Aber die Prognosen waren eindeutig: Es würde für längere Zeit der letzte sonnige Tag sein. Mein Beschluss, die Wanderung spätestens in Trevélez abzubrechen, stand daher fest: Ich hatte gestern Nachmittag im Hotelzimmer genügend Zeit gehabt, Lage und Optionen eingehend zu prüfen, und dabei auch eine günstige Rückreisemöglichkeit ausfindig gemacht. Aber an diesem Morgen machte es nochmals Lust loszuziehen: Wo ich gestern aus dem Zimmerfenster des Hotels San Roque in eine graue Wand hinein gesehen hatte, zeigte sich nun eine lieblich-rauhe Berglandschaft in der flimmernden Morgensonne.

 

Pitres, Hotel San Roque.
Pitres, Hotel San Roque.

Die Etappe lässt sich in einen kürzeren belebteren und einen längeren einsameren Abschnitt unterteilen. Der erste führte durch den Hang der La Taha-Region mit mehreren typischen weissen Dörfern nach Osten, der zweite stieg von Busquístar aus in höhere Gefilde hinauf und wandte sich nach Norden in das langgezogene Trevélez-Tal hinein, um schliesslich in das gleichnamige, als das höchst- gelegene Spaniens sowie für seinen Schinken bekannte Dorf hinabzusteigen. Ob ich beide Abschnitte vollständig zurücklegen würde, darüber war ich mir beim Start nicht sicher: Denn laut dem Cicerone-Führer gab es im zweiten Teil erdrutschgeschädigte und –gefährdete, möglicherweise schwer passierbare Stellen. Deren Zustand, so befürchtete ich, dürfte sich durch die aktuellen Regenfälle nicht verbessert haben. Für den schlimmsten Fall wollte ich mir deshalb die Option der Rückkehr nach Busquístar offenhalten, von wo ich dann per Bus weiter nach Trevélez oder aber direkt nach Granada hinunter gelangen würde.


Pitres - Trevélez
Etappe EHWS Andalusien, Nr. 30
  (Fernwanderprojekt EHWS)
Länge / Zeit 17,9 km / 6h21'
Auf- / Abwärts 874 m / 671 m
Höchster Punkt 1'739 m (Ojarba)
Tiefster Punkt 1'132 m (Atalbeitar)
Fernwanderwege E4 (GR7)
Durchgeführt Mittwoch, 17. Oktober 2018
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Von Dorf zu Dorf

Der GR7 zweigte kurz nach dem Hotel rechts von der Höhenstrasse ab, welche die Alpujarra in West-Ost-Richtung erschloss. Ein teils verwilderter und überwucherter Pfad führte hangabwärts, kreuzte zwei kleine Bachtobel, von denen eines – das des Rio Bermejo – über eine Furt zu durchqueren war, und steuerte Atalbeitar an. Dies ist ein abgelegenes, nur durch ein schmales Strässchen erschlossenes, weiteres pittoreskes kleines Bergdorf. Dort wandte sich der Weg abrupt wieder bergaufwärts; an dem waldfreien Südhang kam ich ein erstes Mal ins Schwitzen. In Pórtugos, dem nächsten Dorf, gewann ich die Höhenstrasse zurück, von wo ich prächtige Aussichten über Berg und Tal genoss. Beim Studieren eines GR7-Wegweisers wurde ich von einer älteren Frau unterstützt, indem sie energisch in dessen Richtung deutete und laut zu mir sagte (es klang irgendwie stolz): „Busquístar 2 km. Trevélez 12 km“! Aha, muchas gracias! So wusste ich auch, wie sich das Gelesene in örtlicher Tonfärbung anhörte.

Gemütlich auf der Strasse leicht abwärts trottend, kam ich an einer Einsiedelei und einem Wegweiser zur Minerwalwasserquelle Fuente Agria vorbei und erreichte nach rund 20 Minuten den oberen Orsteingang des sich den Hang hinab erstreckenden Busquístar. Hier gabelte sich die Strasse: Ein Zweig führte nach rechts ins Dorf hinunter, der andere bog scharf nach links ins Trevélez-Tal hinein. Von diesem zweigte noch mehr nach links und steiler bergaufwärts der GR7 als Fussweg ab. Es war kurz vor halb Zwölf, am Himmel zeigten sich bereits wieder einige Wolken. Ich verzichtete auf eine Besichtigung des Städtchens und schlug den Fussweg ein.

Wandergenuss - auch dank guter Markierung

Hoch über dem Tal des Río Trevélez.
Hoch über dem Tal des Río Trevélez.

Es begann der zweite, einsamere Etappenteil. Nicht dass mir niemand mehr begegnet wäre – einmal kam mir sogar eine grössere Wandergruppe entgegen, an einem Wochentag eher eine Seltenheit in dieser Gegend – , aber es gab kein Dorf, keinen Weiler und keine Strasse mehr bis nach Trevélez. Letztere schlängelte sich weit unterhalb des Wanderwegs dem Hang entlang und war von waldfreien Partien aus zwar dann und wann zu sehen, aber nicht zu hören. Während rund einer Stunde ging es durch Kastanien- und Eichenwald, zuerst ordentlich steil, später eher flach und dann mässig, aber stetig ansteigend, bis der Weg eine Höhe erreichte, auf der er sich während einer weiteren Stunde mehrheitlich hielt. Abgesehen von kurzen Stücken auf Betonsträsschen am Anfang ging ich hauptsächlich auf Forstwegen oder angenehmen Wald- und Wiesenpfaden. Zu dem Wandergenuss trug auch die zur Abwechslung einmal tadellose Signalisierung bei: Die Zeichen waren frisch, folgten sich mit einer gewissen Regelmässigkeit und signalisierten nicht nur Richtungsänderungen. Es war eine der best markierten Strecken, die ich auf dem GR7 bisher bewandert hatte.

Heikles, aber passierbares Erdrutschgebiet

Erdrutschhang am Barranco de la Bina.
Erdrutschhang am Barranco de la Bina.

Jedesmal, wenn ich über eine Lichtung kam, sah ich mehr Wolken und weniger blauen Himmel über mir – und je höher es war, desto näher schienen zwar die Kämme und Gipfel der Sierra Nevada, aber gleichzeitig verhüllten sie sich immer dichter. An einem Cortijo mit Pferden vorbei gelangte ich auf eine flache Forststrasse, die, wie Schilder es anzeigten, gleichzeitig die Grenze zum Nationalpark Sierra Nevada bildete. Nach nur etwa einem Kilometer zweigte der GR7 aber schon wieder von dieser ab, und zwar steil durch Wald und nackte Erdpartien in eine tief eingeschnittene Hangfurche hinunter. Es musste die im Cicerone beschriebene Erdrutsch-Passage sein. Entsprechend vorsichtig nahm ich den Abstieg in Angriff, aber als ich einen Biker kreuzte, der sein Gerät den Steilhang hinaufstiess, entspannte ich mich: Der Abschnitt mochte unstabil sein, aber unpassierbar war er wohl nicht. Auf der Sohle des Barranco führte eine aus zwei dünnen Baumstämmchen gebildete Behelfsbrücke über den Bach, und auch am Gegenhang waren noch ein paar heiklere Stellen zu bewältigen – aber so dramatisch, wie ich es aufgrund der Beschreibung (die Rede war von „serious landslides“) erwartet hätte, war das Ganze zumindest bei der aktuellen Witterung bei weitem nicht.

Aufkeimendes Alpen-Feeling

Alsbald gelangte ich zu einer verfallenen Alphütte und einer „Era“ – einem ehemaligen Dreschplatz – , von der aus sich ein schöner Blick auf das Tal hinunter Richtung Süden bot, mit der kurvenreichen Strasse unten am Hang. Bei einer andern Ruine war nochmals ein instabiles Hangstück zu umgehen; gleich danach stieg der Pfad durch steiles und zum Teil von Steinen durchsetztes Grasland hinauf. Da und dort weidete eine Kuh darauf, was das in mir aufkeimende Alpen-Feeling noch verstärkte. Einige von ihnen trugen sogar Glocken! Später wurde der Weg wieder flacher und führte an teilweise bizarren Felsbrocken vorbei, dann tauchte in der Tiefe erstmals die weisse Häusersammlung von Trevélez auf. Es war inzwischen vier Uhr.

Wieder auf der Forststrasse von vorher musste ich unmerklich den mit rund 1730 Metern höchsten Punkt des Tages (und gleichzeitig auch des gesamten bisher zurückgelegten GR7) überschritten haben, denn von nun an ging es nur noch abwärts. Auf einem abzweigenden Fussweg verlor ich rasch an Höhe und erreichte erste Gärten mit ihren Schuppen. Bei der Abzweigung eines steil den Berg hinauf führenden Wanderwegs wies ein Wegweiser zum Alto de Chorillo. Es musste der Weg sein, auf dem ich herunter gekommen wäre, wenn ich die Route über den Mulhacén genommen hätte. Noch einmal galt es in eine Hangfurche hinab- und aus dieser wieder hinaufzusteigen – diesmal war es eine mit Staumauer – , dann erreichte ich um genau fünf Uhr die ersten Häuser des Barrio Alto, des obersten Dorfteils von Trevélez. Bis ich in meinem Hotel ganz unten, im Barrio Bajo eintraf, dauerte es freilich nochmals über eine Stunde. Dies nicht nur, weil das Dorf sich über eine beachtliche Länge des Berghangs mit rund 200 Metern Höhendifferenz erstreckte, sondern auch, weil ich einer wohl eben aus den Bergen heruntergestiegenen Pfadfindergruppe zusah, wie sie sich an einem Brunnen erfrischte, weil ich mich zudem in den verwinkelten Gässchen verirrte und die vielen Schinkenräuchereien und –läden bestaunte und nicht zuletzt auch, weil ich mir auf halbem Weg in einer Bar zwei Bierchen mit Tapas gönnte.

I will be back!

Mein Hotel lag ideal gleich neben der Haltestelle, von der am nächsten Morgen um 6 .21 Uhr mein Bus nach Granada abfahren würde. Mit dem vorzeitigen Abbruch hatte mich der heutige Tag versöhnt. Ich verliess die Alpujarras jedoch mit dem festen Entschluss, nächstes Jahr im Sommer wiederzukehren, um mit leichterem Gepäck und hoffentlich bei besserer Witterung die Routenvariante über die Sierra Nevada nachzuholen.


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