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Reculer pour mieux goûter

EHWS  Jura, Etappe 13: Les Verrières (CH) - Le Tillau (F)

Vallon des Verrières von Les Bayards aus gesehen.
Vallon des Verrières von Les Bayards aus gesehen.

Den steilen Aufstieg vom Talgrund von Les Verrières taten wir uns gleich zweimal an. Und dem Ziel näherten wir uns erst nach einem ausschweifenden und aussichtslosen Umweg. Beides völlig unnötig – denn am Morgen lag dieses nur einen Steinwurf und einen einzigen Aufstieg von uns entfernt! Aber hätten wir uns dann den dort lockenden Gaumenfreuden ebenso ungehemmt hingegeben? Fraglich!

Nach fast dreijährigem Unterbruch – eine Pandemie und zwei Fussoperationen von Ruth hatten uns aufgehalten – sah ich der Fortsetzung des jurassischen Wasserscheidenprojekts mit einer gewissen Ungeduld entgegen. Deshalb hätte es mir gefallen, mit der Zweitagewanderung, zu der wir nun endlich wieder einmal aufbrechen konnten, ein ordentliches Stück voranzukommen. Mit dem direkten Aufstieg zu der das Tal von Les Verrières südlich abgrenzenden Jurafalte schien das möglich. Dies hätte aber bedeutet, die Kapriolen der Wasserscheide ausgerechnet in einer Gegend zu ignorieren, in der es angesichts vorhandener, wenn auch teilweise nicht zum Wandern bestimmter Wege keinen triftigen Grund dafür gab. Die Kapriolen bestanden hier darin, dass die Wasserscheide auf der das Tal nördlich flankierenden Jurafalte ein Stück nach Osten zurückwich, um das U-förmige Tal in seinem oberen, aber kaum höheren Bereich rechtwinklig zu überqueren und auf dem Parallelkamm der südlichen Talseite wieder nach Westen abzuwinkeln. Wollte man ihnen folgen, musste man somit zweimal vom Talboden aus in die Höhe steigen – nämlich auf jeder Talseite je einmal.

Farne, Moose und Kalkfelsen

Wir wollten. Der erste Aufstieg war ein Rückweg, und wir nahmen ihn frisch vom Frühstückstisch im Hôtel de Ville weg in Angriff (um der Sommerhitze zuvorzukommen, waren wir bereits am Vorabend angereist). Wie die Flanken der meisten Juraketten ist die des Cernil-Rückens – wir kannten sie von der letzten Etappe her – durchaus steil, aber nicht allzu hoch. Entgegen kam uns auch, dass wir sie ab etwa halber Höhe im schützenden Schatten des Waldes erklimmen konnten. Nach einer guten Stunde war sie denn auch schon geschafft. Direkt hinter der Wasserscheide schlugen wir bei der Weggabelung von «Chez la Bolle» den vorerst parallel verlaufenden Kammweg nach Le Cernil ein. Viel begangen wurde der wohl nicht: Er war stark mit Gras bewachsen, und eine Frau, die einen jungen Hund spazieren führte, schien erfreut, auf ihrem vielleicht alltäglichen Gang zur Abwechslung auch einmal «fremde» Wanderer anzutreffen. Der Wald schützte vortrefflich vor der Sonne, wenn auch zum Preis fehlender Aussicht: Die dicht stehenden Bäume erlaubten nur vereinzelt eingegrenzte Blicke ins Tal von La Brévine hinab.


Les Verrières (CH) - Le Tillau (F)
Etappe EHWS Jura, Nr. 13
  (Fernwanderprojekt EHWS)
Länge / Zeit 19,3 km / 5h40'
Auf- / Abwärts 641 m / 402 m
Höchster Punkt 1'209 m (bei Mont des Verrières)
Tiefster Punkt 929 m (Les Verrières)
Fernwanderwege ---
Durchgeführt Donnerstag, 22. Juli 2021
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DIe EHWS im Bereich dieser Etappe
  • Wasserscheide zwischen Doubs-Vorflutern auf der Rhône-Mittelmeer-Seite und der in den Neuenburgersee fliessenden Areuse auf der Rhein-Nordsee-Seite.
  • Im Hochtal von Les Verrières versickert das Regenwasser im oberen Teil im karstigen Untergrund und findet unterirdisch zur Areuse. Was nicht versickert, wird vom Bächlein La Morte gesammelt und dem Doubs zugeführt.
  • Dadurch beschreibt die EHWS eine eckige Klammer um das Hochtal herum: Über die den nördlichen Talrand bildende Kette von Le Cernil weicht sie zunächst nach Nordosten zurück, um dann scharf nach Süden abzuwinkeln und am Dorf Les Bayards vorbei ins Tal abzufallen. Nach dessen Überquerung steigt sie auf der Gegenseite  zum Parallelkamm des Mont des Verrières hinauf, um dort erneut abzuwinkeln und die südwestliche Hauptrichtung der Jurafaltung wieder aufzunehmen.
  • Die Wanderung erreicht die EHWS nach einem kurzen steilen Aufstieg auf dem Cernil-Rücken und folgt ihr dann in meist geringer Distanz. Ein Stück auf dem Rücken und zuletzt auf den Hochweiden des Mont des Verrières ist sie praktisch mit der EHWS identisch. Der Zielort liegt wenige Meter unterhalb der EHWS auf der Doubs-Seite.

Er hatte jedoch seine eigene Faszination. Stellenweise bedeckten grosse Farne seinen Boden, hie und da traten die darunter liegenden Kalkrippen zu Tage. Während der Weg über den Kamm auf die Südseite wechselte, schlängelte er sich durch ein romantisches, von teilweise bemoosten Felsblöcken und -bändern gebildetes Couloir.

Nach einem kurzen Abstieg setzte er sich weiter unten parallel zum Kamm durch die «Les Cornées» genannte Südflanke fort; dass er dabei unmerklich die zum Tal abfallende Wasserscheide kreuzte, war nicht zu bemerken. Bei einer Gabelung bogen wir auf einen abwärts geneigten Forstweg ab, der nicht als Wanderweg, wohl aber als Langlaufloipe markiert war. Dieser führte uns bald aus dem Wald hinaus auf die Weiden von Les Replans – typische Juraweiden mit einzelnen Fichten und Baumgruppen, zwischen denen sich Vieh tummelte. Hier boten sich reizvolle Blicke dem grünen Tal entlang in Richtung unseres Ausgangsortes.

Les Bayards, Dorfkäserei.
Les Bayards, Dorfkäserei.

Trockensteinmauern und langgezogene Brennholzstapel begleiteten uns zu dem auf einer besonnten Terrasse über dem Tal liegenden Strassendorf Les Bayards hinab. Bei der Dorfkäserei kreuzten wir die Strasse, die das Tal über den Pass von Le Cernil mit La Brévine verbindet. Auf einem Asphalt- und später Betonsträsschen und schliesslich einer anderen Strasse gelangten wir zum Talgrund hinunter, wo Les Bayards über einen – wenn auch nicht mehr bedienten – Bahnhof verfügt. Dass die Wasserscheide das Tal kurioserweise an einer etwas tiefer gelegenen Stelle westlich des Bahnhofs überquert, ist nicht zu erkennen. Der Grund dafür lässt sich hingegen erahnen: Denn auch aufmerksamste Augen können hier keine oberirdischen Gewässer entdecken – was darauf hindeutet, dass aller Regen versickert und unterirdisch abfliesst. Er tut es gemäss heutigem Wissensstand genau wie im benachbarten Vallée de La Brévine zur Areuse hin und damit Richtung Neuenburgersee und Rhein – und nicht wie im übrigen Tal oberirdisch Richtung Doubs und Rhône.


Mehr Schleifspur denn Weg

Aufstieg durch den Hang von La Côtière.
Aufstieg durch den Hang von La Côtière.

Um der Wasserscheide weiter nachzuspüren, mussten wir auf die Jurafalte auf der andern Talseite hinauf. Für diesen zweiten Aufstieg standen uns keine Wanderwege zur Verfügung, und der Weg, den wir wählten, forderte uns erheblich stärker als der erste. Er führte zwar schräg, aber ohne jede mildernde Kurve durch den Hang von «La Côtière» hinauf und war eindeutig nicht zum Wandern, ja wohl nicht einmal für gängige Geländefahrzeuge gedacht; es handelte sich eher um eine verbreiterte Schleif-, bestenfalls Karrenspur. Steil, steinig und rutschig stellte er sich unsern Muskel- und Willenskräften entgegen, aber nach etwa einer Stunde lag auch diese Steilstufe unter uns. Am Rand einer Weide erholten wir uns ein wenig auf gefällten Baumstämmen, die vielleicht nur darauf warteten, durch die soeben von uns bewältigte Bodenrinne zu Tale geschleift zu werden.

Von hier aus zog sich ein wohl auch nicht oft begangener Weg horizontal in westlicher Richtung durch die Bergflanke und kreuzte die Wasserscheide ebenso unmerklich wie am Vormittag der Weg am Gegenhang. An einer Stelle, wo der Hang unter uns über Flühe in die steile Mulde von Malacombe abfiel, wandte sich der Weg dem Berg zu, und nach kurzem Anstieg gelangten wir aus dem Wald hinaus und betraten Weideland. Bald gingen wir auch schon wieder auf Asphalt, denn es galt hier oben verstreute Einzelhöfe zu erschliessen. So etwa den Hof Mont-Châtin, den wir alsbald passierten. Nun befanden wir uns auf einem sanft gewellten Plateau mit Weiden, Baumgruppen und Trockensteinmauern, auf dem wir uns gerne eine Weile ins Gras legten und den vorüberziehenden Wolken zuschauten.

Das Schönste kam zuletzt

Es begann der letzte und schönste Teil der Wanderung. Von hier aus boten sich nach rechts Ausblicke zu dem am Vormittag begangenen Cernil-Rücken und der diesen nach Westen fortsetzenden Larmont-Kette hinüber. Und später, als wir beim Weiler «Quatre Cheminées» erneut die Wasserscheide erreichten, neigte sich das Plateau auch nach links und gab den Blick über die breite Hochebene von La Côte-aux-Fées bis zur höchsten Jurakette frei, aus der der felsige Chasseron hervorstach. Der Asphalt unter unsern Füssen wich zunächst Kies und später Gras, auf den ausgedehnten Weiden grasten hier braune Milchkühe, dort schwarze Angus-Rinder und anderswo verschiedenfarbige Pferde. Durch eine Trockensteinmauer überschritten wir die Staatsgrenze, und über sanft abwärts geneigte Wiesen erreichten wir bald eine Gruppe von baumumstandenen Holzgebäuden. Eines davon – das grösste – erwies sich als unser Ziel, das aus einem stattlichen, freigrafschaftlichen Bauernhaus umgebaute Viersternehotel und Restaurant mit Michelin-Eintrag «Le Tillau».

In diesem liessen wir es uns am Abend gut gehen. Es lag nur knapp drei Luftlinienkilometer von unserem morgendlichen Ausgangspunkt entfernt und war vom Tal her auch über ein Strässchen erreichbar – die meisten andern Gäste waren per Auto, einige wenige per Rad angereist. Aber vielleicht liess unser Umweg uns – in Anlehnung an die französische Redensart «Reculer pour mieux sauter» («Zurückweichen, um besser springen zu können») – besser geniessen. Jedenfalls fiel es uns mit den knapp zwanzig Kilometern in den Beinen nicht schwer zu glauben, wir hätten uns die Schlemmerei redlich verdient.

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