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Trockene Flüsse aus feuchten Bergen

EHWS Andalusien, Etappe 24: Jayena - Albuñuelas

Albuñuelas, im Hintergrund Sierra Nevada.
Albuñuelas, im Hintergrund Sierra Nevada.

Den langen Übergang über die Sierra del Chaparral nahm ich in der Morgendämmerung in Angriff. Gegen Mittag fielen erste Tropfen; den bewaldeten Kamm überschritt ich bei Nebel und Nieselregen. Die waldreichen Abhänge nach Osten liessen auch generell ein eher feuchtes Klima vermuten. Doch den Abstieg durch das tief eingeschnittene Tal begleitete kein Rauschen: Das Flussbett war knochentrocken, sein Wasser wurde unterirdisch zu Tale geführt. Beim Talausgang grüsste die Abendsonne.

Die heutige Etappe bildete einen Übergang: einmal zwischen den Landschaften Poniente Granadino und Valle de Lecrín, aber auch zwischen den Einzugsgebieten der Flüsse Guadalquivir und Guadalfeo und damit von Atlantik und Mittelmeer. Denn etwa auf halbem Weg wird auf einer Höhe von rund 1‘330 Metern die Wasserscheide EHWS überschritten. Die Strecke gliedert sich denn auch in zwei nahezu gleich grosse Teile: Der erste besteht aus einem langen Anstieg in Richtung Südost auf den breiten Hügelkamm hinauf, den ich auf einzelnen Karten als Sierra del Chaparral bezeichnet fand, der zweite wendet sich nach Nordost und führt durch ein etwa ebenso langes Tal hinab. Zwischen Beginn und Ende gibt es weit und breit keine Ortschaften, nur ein paar Höfe und an der einzigen von der Route berührten Strasse eine Gaststätte. Doch nicht nur die alternativlose Länge von über 30 Kilometern flösste mir Respekt ein, sondern auch die Wetterprognose: Sie verhiess gegen Mittag einsetzenden Regen mit Gewittern. Bis dahin wollte ich ein möglichst weites Stück hinter mich gebracht haben. Also verzichtete ich auf Frühstück und Kaffee und zog mit dem ersten Dämmerschein los.

Der Anmarsch verlief flach bis leicht ansteigend in Längsrichtung durch den Talboden, den ich gestern Abend überquert hatte. Wie fast alle Talböden in dieser Gegend ist er von Gemüsekulturen bedeckt. Das Teersträsschen teilte ich mit einzelnen früh aufgestandenen Landarbeitern. Nach etwa einer Stunde endete es am Ufer des Flüsschens Arroyo Turillas: Ennet der Brücke tauchte ein Forstweg in einen stillen Kiefernwald ein. Niemals steil, aber stetig ging es in langen Geraden und einigen Schlaufen aufwärts.


Jayena - Albuñuelas
Etappe EHWS Andalusien, Nr. 24
  (Fernwanderprojekt EHWS)
Länge / Zeit 31,4 km / 9h04'
Auf- / Abwärts 547 m / 729 m
Höchster Punkt 1'336 m (unterh. El Cañuelo)
Tiefster Punkt 836 m (vor Albuñuelas)
Fernwanderwege E4 (GR7)
Durchgeführt Donnerstag, 11. Oktober 2018
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Dann erreichte ich ein offenes, nur von Buschwerk und lichtem Wald bewachsenes Zwischenplateau; hier schien es mir, als ginge ich über vollkommen verlassenes, unendliches Land, nur im Süden und Osten wurde es von fernen und dunklen Bergzacken begrenzt. Den weiten Himmel zerzauste der Wind, Licht und Schatten jagten sich, in den Wipfeln rauschte es und die Luft roch stark nach wildem Rosmarin und Thymian.

Ungemütliche Aussichten

Harzgewinnung.
Harzgewinnung.

Auf einer längeren, durch eine Brandschneise führenden Geraden überholten mich drei Biker und relativierten den Eindruck der Verlassenheit; ich erkannte sie wieder von der Herberge in Jayena, sie hatten länger schlafen können als ich. Dann tauchte der Weg wieder in Wald ein und begann sich kurvig um Hügelfalten herum zu ziehen. Nun konnte ich im wirklichen Leben sehen, was ich gestern bei La Resinera nur auf Abbildungen angetroffen hatte: An immer mehr Kiefern komme ich vorbei, deren Rinde angeschnitten ist und die Behälter zum Auffangen des aus den Wunden rinnenden Materials umgebunden haben. Hier also wird auch heute noch Harz gewonnen! Der Weg steigt weiter an, allmählich schliesst sich die Wolkendecke und die Stimmung wird trüber. Kurz nach Überschreiten einer Anhöhe fallen erste Tropfen, ich kleide Mann und Rucksack schützend ein. Bei einem mit „El Pino de los Cinco Ramos“ beschrifteten Aussichtspunkt lässt sich betrachten, was das Wetter von der Landschaft unverhüllt lässt: Ich sehe in tiefe dunkle Täler hinab, hinter denen höhere, düstere Berge zu dunklen Wolken hinaufsteigen und teilweise darin verschwinden. Gemütlich sieht das nicht aus; ich bin froh, muss ich nicht in dieses Grau hinauf.

Nun weicht der Wald offenem, leicht gewelltem Weideland. Dem Regen bin ich so stärker ausgesetzt, aber er belässt es zum Glück bei einem leichten Rieseln, und für Gewitter gibt es keinerlei Anzeichen. Auf einem gut unterhaltenen Feldweg passiere ich einige Einzelhöfe und erreiche gegen ein Uhr das Meson Prados de Lopera. Fünf Stunden nach dem Start ist damit gut die Hälfte des Weges geschafft.

Über die Wasserscheide zur Rosmarin-Schlucht

Die Gaststätte liegt an der A4050, einer Verbindungsstrasse, die vom Meer her über die Berge nach Granada führt. Sie bringt fast gleichzeitig zu meiner Ankunft eine grössere Gruppe Motorradfahrer hierher. Lärm und Unruhe sind die Folge, mein Widerwille dagegen ist aber schwächer als meine Verpflegungs- und Erholungsbedürfnisse. Als ich nach einer Hühnersuppe und dem ersten Kaffee des Tages wieder aufbreche, regnet es nicht mehr, aber noch immer hängen die Wolken tief über Kuppen und Wäldern. Nach einem Stück auf der Strasse nach Norden geht es auf einem Fussweg durch Wald noch einmal aufwärts. Bei einer Wegkreuzung nahe einer mit „El Cañuelo“ bezeichneten, aber unsichtbaren Bergkuppe ist der höchste Punkt erreicht – und wie ich vermute, auch die Wasserscheide. Ich wende mich nach rechts auf einen abwärts geneigten Forstweg; in einer Schlaufe verlasse ich ihn und biege scharf nach rechts ab. Nun folgt der überraschendste Abschnitt: Auf einem Fusspfad geht es durch ein enges, wildromantisches Gebirgstal – den Barranco del Cañuelo – mit felsigen Hängen, alten knorrigen Bäumen und riesigen Rosmarinsträuchern hinab. Am Gegenhang klettert ein Wildtier – ein iberischer Steinbock? –leichtfüssig die Felsen hinauf.

Tote Hose im Flussbett

Beim unteren Ausgang des Barrancos wartete ein ausgedehntes Picknickareal mit Betonbänklein und –tischen und mehreren kleinen Gebäuden; gemäss Cicerone kann man hier übernachten, es braucht dazu einen Anruf bei den Gemeindebehörden. Von der düsteren Stimmung war inzwischen nichts mehr zu spüren; es war nicht nur trocken, sondern auch wieder heller, dann und wann erreichten Sonnenstrahlen den Talgrund; die Regenkleidung verschwand wieder im Rucksack. Ich traf wieder auf die oben verlassene Forststrasse, die nun weitgehend dem Flussbett folgte und sich mit diesem durch das tief eingeschnittene, nicht enden wollende Tal hinab schlängelte: Über rund 7 Kilometer folgte Talbiegung auf Talbiegung, die auch mal durch Übersteigen eines Rückens abgeschnitten wurde. Wiederholt wechselte der Weg die Seite des Flusses. Anderswo wäre eine solche Talwanderung, erst recht nach einem Regen, von rauschendem oder gar tosendem Lärm begleitet – nicht so aber diese: Denn der Fluss führte nicht einen einzigen Tropfen Wasser, sondern zeigte nur sein nacktes, steiniges Bett! Im Cicerone fand ich die Erklärung dafür: Sein Wasser wurde in Betonröhren unterirdisch zu Tale geführt!

Der Schlusspointe zu Liebe ein Umweg

Albuñuelas vor Sierra Nevada: Barrio Alto (links), Barrio Bajo.
Albuñuelas vor Sierra Nevada: Barrio Alto (links), Barrio Bajo.

Der Talausgang kam näher, gelegentlich öffnete sich ein Blick auf ein Stück Sierra Nevada. Fast schon habe ich ihn erreicht, da weisen mich sowohl der Cicerone als auch ein GR7-Wegweiser nochmals auf die Südseite des Flussbettes hinüber, wo Albuñuelas doch auf der Nordseite liegt. Gehorsam steige ich am Gegenufer nochmals den Hang hinauf. Als sich dort schlagartig das Tal öffnet, glaube ich den Grund für den Umweg zu verstehen: Den bezaubernden Blick auf die weissen, über zwei Hangterrassen verteilten und jetzt von der Abendsonne beleuchteten Dorfteile von Albuñuelas – das Barrio Alto und das Barrio Bajo – vor dem Hintergrund der Sierra Nevada würde man sonst verpassen! Und auch der stotzige, etwas abenteuerliche Weg, auf dem man teils über Stufen wieder zu dem Fluss hinuntersteigen muss, soll uns Fernwanderern wohl nicht vorenthalten werden: Der Fluss zwängt sich hier durch eine Schlucht, und unter der Brücke ist tatsächlich Wasser zu sehen!

Zum Dorf ging es da nur noch ein kurzes, wenn auch steiles Stück bergauf. Meine Unterkunft fand ich in den verwinkelten Gassen aber erst nach etlichem Suchen und Fragen. Es war etwas nach sieben Uhr, als ich in der Casa Azul eintraf, einem von einem englischen Rentner geführten B&B. Da waren seit dem Start etwa elfeinhalb Stunden vergangen. Ich konnte resümieren: Das Wetter hatte sich als harmloser erwiesen als befürchtet, aber die Länge der Strecke hatte es in sich. Gut, war ich so früh aufgebrochen!


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