· 

Dem Léman-Panorama auf den Zahn gefühlt

EHWS Alpin, Etappe 4: Sonloup - Rochers de Naye

Auf dem Dent de Jaman über dem Genfersee.
Auf dem Dent de Jaman über dem Genfersee.

Diese ganze Woche hindurch war das Wetter wunderbar spätsommerlich und sehr stabil: Es gab kaum Wolken und offenbar nicht einmal Wärmegewitter in den Bergen. Ich ergriff deshalb die nächstbeste Gelegenheit zur Fortsetzung meines Projektes; leider reichte meine Zeit auch dieses Mal nur für eine Tageswanderung. Über Lausanne und Montreux reiste ich frühmorgens wieder nach Les Avants und mit der Standseilbahn nach Sonloup hinauf, wo meine letzte Wanderung vor drei Tagen geendet hatte. Tal und Bahn lagen noch im Schatten; die Sonne schickte sich eben an, erste Strahlen über die Berge im Osten herüberzuschicken.

Kurz vor halb neun zog ich in der entgegengesetzten Richtung vom Montag los. Den Genfersee oder Léman im Rücken, konnte ich fast die ganze heute bevorstehende Route in einem Halbrund überblicken, als Silhouette im Gegenlicht: Geradeaus die gezackte Kette der Arête des Verraux, der ich entgegenschritt, rechts davon der aufragende Dent de Jaman und ganz rechts der breite Felsbrocken des Rochers de Naye mit seiner Antenne, mein Tagesziel. Zwei, vielleicht drei Steilaufstiege der Kategorie T3 erwarteten mich: zum Col de Pierra Perchia zu Beginn und nach Sautodoz gegen Ende; der Dent de Jaman war eine mögliche Zugabe.

Zwischen unbegehbaren Felszacken

Zurück auf dem Col de Soladier, zu dem ich am Montag vom Veveyse-Kessel her aufgestiegen war, genoss ich eine erste kurze Rast an der Sonne und die Stille des Morgens; ausser einzelnen Kuhglocken und Vogelstimmen war nichts zu hören. Hier zweigte ich ab und nahm den steil ansteigenden Bergwanderweg Richtung Arête hinauf. Zunächst an der scharfen Felskante, später auf der dem Léman zugewandten Hangseite im Zickzack durchs Gras aufwärts stapfend, gewann ich schnell an Höhe. Dass der Hang immer noch im Schatten lag, erleichterte die Anstrengung erheblich.


Sonloup - Rochers de Naye
Etappe EHWS Alpin, Nr. 4
  (Fernwanderprojekt EHWS)
Länge / Dauer 17,1 km / 6h30'
Auf- / Abwärts 1'608 m / 781 m
Höchster Punkt 2'042 m (Ropchers de Naye)
Tiefster Punkt 1'138 m (Sonloup)
Fernwanderwege ---
Durchgeführt Donnerstag, 22. Sept. 2016
Weitere Facts & Figures
Vorige Etappe Nächste Etappe

www.wandermap.net © Toursprung © OSM Contributors


Pierra Perchia. Blick ins Saane-Land.
Pierra Perchia. Blick ins Saane-Land.

Genau eine Stunde nach der Rast stand ich auf der Krete und an der Sonne: der Col de Pierra Perchia, das erste Zwischenziel auf 1860 m, war erreicht! Ausser mir verteilten sich gleich fünf Wanderer über die wenigen zum Sitzen geeigneten Plätze, die es auf dem schmalen Grat gab. Keiner von ihnen, so mutmasste ich, war aus dem gleichen Grund hier wie ich: die Möglichkeit, einen Moment auf der Hauptwasserscheide zu verweilen, die über den sonst nur für Alpinisten begehbaren Grat verlief. Allfälliges Regenwasser, das in den felsumringten Alpkessel fiel, in den ich nach Osten hinabblickte, musste zum Hongrin-Bach in die Tiefe und mit diesem zur Saane und Richtung Rhein rinnen. Links und rechts des Passes stachen wilde Zacken in den Himmel, unerreichbar für mich.

Ich begab mich wieder auf die Mittelmeer-Seite und ging auf einem gleichmässig abfallenden, steinschlaggefährdeten Weg unter den Zinnen der Verraux und zwischen Lawinenverbauungen hindurch zum besonnten Col de Jaman hinunter, dem nächsten Punkt auf der Hauptwasserscheide. Der Pass ist von der Südseite her befahrbar. Kein Wunder also, dass ich die Terrasse des Restaurants ebenso gut besetzt vorfand wie den beachtlichen Parkplatz.

Dent de Jaman.
Dent de Jaman.

Nach einer kurzen Erfrischung ging ich auf der Saane-Rhein-Seite einige Schritte hinunter und dann durch eine Mulde aufwärts bis auf einen märchenhaft anmutenden Boden, auf dem letzte Tannen wuchsen und der durch bizarre Felsformationen umkränzt war, an denen sich mehrere Kletterergruppen tummelten. Vor mir in der Höhe die Galerien der Rochers-de-Naye-Bahn und die Station Jaman. Zu der letzteren stieg ich auf, überquerte die Bahnlinie und gelangte auf den Grat neben dem Dent de Jaman. Zum dritten Mal heute stand ich auf der Wasserscheide, zu der auch die Spitze des Dent gehörte. Imposant, wie dieser Felszahn neben mir in den Himmel ragte und wie steil er auf der Léman-Seite abfiel! Seine Rückseite war begrast und nicht ganz so vertikal, an ihr führte ein Zickzackpfad hinauf, oben sah ich Leute. Diesem Dent wollte ich doch auf den Zahn fühlen! Eine knappe halbe Stunde Kraxeln, dann stand auch ich oben. Atemberaubend die Rundsicht, schwindelerregend der Blick in die Tiefe, nach Montreux am See unten! Pittoresk die Anlage der Bahn, die unter mir dem geschwungenen Grat folgte, teilweise durch Galerien überdacht, und weiter oben in einem Tunnel unter dem Rochers de Naye verschwand – der Kindertraum einer Modelleisenbahn! Und darüber der breite Felsklotz des Rochers de Naye mit dem Sendeturm auf dem Gipfel!

Rückwirkende Warnung

In der Buvette bei der Station Jaman, an der ich nach dem Abstieg wieder vorbeikam, gönnte ich mir eine weitere Erfrischung, dann ging ich zurück zu dem märchenhaften Boden hinunter, um von dort erneut aufzusteigen, zur nächsthöheren Bahnstation «La Perche». Diese befand sich am oberen Ausgang der letzten Galerie vor dem Gipfeltunnel, wiederum genau auf der Hauptwasserscheide. Ennet dem Gleis führte der Weg noch einmal abwärts, schräg dem Hang entlang. Dann eine scharfe Abzweigung zum Berg hin, durch ein steiles und steiniges Couloir auf eine Schulter namens Sautodoz hinauf. Oben informierte mich ein Schild mit der Warnung «Couloir dangereux», dass ich dieses auf eigene Verantwortung begangen hatte. Ich nahms rückwirkend zur Kenntnis.

Tour de Mayen (links) und Tour d'Aï.
Tour de Mayen (links) und Tour d'Aï.

Von der Schulter fiel der Grat rechts bis zum Ufer des Genfersees hinunter. Geradeaus wurde der Blick zwischen zwei Felsblöcken hindurch wie durch einen Fensterrahmen auf die einschüchternden Türme der Tour d’Aï und der Tour de Mayen hingezogen. Just in dem Moment, da ich hinsehe, erschüttert ein Knall die Luft, und direkt unterhalb der Türme explodiert ein Feuerball. So liess der Waffenplatz Hongrin grüssen und erinnerte daran, dass die Welt nicht nur aus der friedlichen Idylle dieser Bergwelt bestand.

 

Vielleicht die längste Sicht über den Genfersee

Der Weg machte hier fast eine Kehrtwende, jetzt ging es auf der östlichen Seite des Grates zum Rochers de Naye hinauf. Von oben winkten bereits die weissen Jurten des Hotels. Noch waren knapp 200 Höhenmeter zu überwinden; der Weg war zwar nicht mehr so steil, aber nun begann ich die Summe aller bisherigen Mühen des Tages zu spüren. Allzu viele Reserven hatte ich nicht mehr, als ich das Hotel mit der Bahnstation erreichte. Bis zur Gipfelplattform hinauf reichten sie gerade noch aus. Eine gewaltige Rundsicht über Alpen und See und die Kreten der Wasserscheide belohnten mich dafür – es ist die vielleicht längste Sicht von Ost nach West, die es über den Léman gibt! Das Halbrund der heutigen Route konnte ich bis zum Startpunkt bei Sonloup zurückverfolgen, wie auch Teile meiner vorangegangenen Wanderungen bis hin zum Moléson.

Um Viertel nach sechs trat ich die Talfahrt mit der Zahnradbahn an. Als sie oberhalb von La Perche aus dem Tunnel hinaus fährt, sehe ich ein grosses Schild neben dem Gleis: «Ligne de partage des eaux Rhône - Rhin» – und später, nach der Galerie, noch eines. Leider bin ich gerade eine Spur zu spät fürs Fotografieren. Auf der weiteren Heimreise ziehe ich ein eindeutiges Fazit: Dies war ein in jeder Hinsicht fantastischer Tag und die Wanderung ein einziger Genuss! Sie war eine fast durchgehende Panoramawanderung mit Anstrengungen, die mir genau angemessen waren. Ich war sehr müde und fühlte mich schlicht prima.

Bilder-Galerie

 Starte die Dia-Show oder klicke dich durch (zum Vergrössern klicke zuerst auf das Kreuz in der Mitte).