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Auf Alemanniens Scheitel

EHWS  Schwarzwald, Etappe  5: Escheck - Sankt Georgen

Stöcklewaldturm, Blick nach Norden.
Stöcklewaldturm, Blick nach Norden.

Auf dieser mühelosen Kammwanderung geht man fast immer auf der Wasserscheide. Zwischen Waldstücken geniesst man Ausblicke mal in die sanften Muldentäler von Brigach und andern Donauzuflüssen, mal in die raueren Abhänge auf der Rheinseite. Die Kammlinie, die auch schon andere Dinge als Wasser geschieden hat und auch als «Scheitel Alemanniens» bezeichnet wird, hat aber auch sonst allerhand zu bieten: etwa einen Aussichtsturm, lehrreiche Informationstafeln – und einen Galgen.

Endlich einmal lachte ein richtig schöner Sommermorgen! Zwar begann mir morgens schon beim Warten auf den Bus das Textil auf der Haut zu kleben – aber zum Glück ging es ja wieder in luftigere Höhen hinauf, der Startpunkt Escheck lag immerhin auf über 1000 Meter. Via Umsteigen und Warten in Triberg und an zahlreichen Kuckucksuhr-Manufakturen und -Verkaufsstätten vorbei reiste ich wieder an, jetzt nur leicht bepackt, da ich abends in das gleiche Hotel in Sankt Georgen zurückkehren würde, in dem ich schon heute übernachtet hatte. Im «Löwen» – einem der beiden Gasthöfe auf der Passhöhe – wollte ich mir noch einen Kaffee und etwas von der von «meinem» Hotelwirt hochgelobten Patisserie gönnen, aber die Terrasse war von Wochenendausflüglern bereits vollständig besetzt.

 

Also zog ich sogleich in südöstlicher Richtung über den Kamm los; eine mit geschwungenen Holzliegen möblierte Halballee, die Aussichten in die grünen Täler zu beiden Seiten bot, geleitete mich von dannen. Auch die Fortsetzung erwies sich als nahezu flacher Spazierweg durch Wald und Wiesen, an dem sich auch andere Leute erfreuten, sei es gehend oder radelnd. Mal milderte Schatten, mal ein sanfter Luftzug die Hitze. Eine blaue Raute kennzeichnete den sich allmählich via Ost nach Nordost krümmenden Wanderweg als «regional», später stiess das Zeichen des Schwarzwald-Mittelwegs dazu (den ich zwei Wandertage zuvor auf der Heubacher Höhe verlassen hatte) und begleitete mich ein Stück weit.

 

Nach rund eineinhalb Stunden ragte der Stöcklewaldturm vor mir in den Himmel, ein steinerner Rundturm, der sich über die Baumwipfel erhebt. Im Garten des dazugehörigen Wanderheims stärkte ich mich mit einer Vesperplatte, bevor ich die 127 Treppenstufen hinaufstieg. Oben bot sich eine 360-Grad-Rundsicht über eine scheinbar unendliche, dunkelblau-grün changierende Wald- und Mittelgebirgslandschaft unter einem jetzt von lockerem Gewölk durchsetzten Himmel. Den von der Panoramatafel versprochenen Alpenkranz, der von der Zugspitze in Bayern bis zu den westlichen Berner Alpen reichen soll, musste man sich hinter dem auch heute diesigen Horizont allerdings vorstellen.


Escheck - Sankt Georgen
Etappe EHWS Schwarzwald, Nr. 5
  (Fernwanderprojekt EHWS)
Länge / Zeit 18,3 km / 4 h 50'
Auf- / Abwärts 175 m / 366 m
Höchster Punkt 1'065 m (Stöcklewald)
Tiefster Punkt 813 m (Sankt Georgen, Weidenbächle)
Fernwanderwege Schwarzwald Mittelweg
Durchgeführt Samstag 14. August 2021
Weitere Facts & Figures
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DIe EHWS im Bereich dieser Etappe
  • Wasserscheide zwischen den Donau-Quellflüssen Breg und Brigach auf der Schwarzmeer- und dem oberrheinischen System der Kinzig auf der Nordsee-Seite.
  • Nach ihrer anfänglichen Südost-Orientierung wendet sich die EHWS nochmals nach Nordost, um das weiter nach Norden ausgreifende Einzugsgebiet der Brigach zu umfangen.
  • Auf der Donau-Seite werden kurz nacheinander die Quellen der Kirnach und der diese später aufnehmenden Brigach nahezu gestreift; die Brigach entspringt im Keller eines Bauernhofes in Sichtweite der EHWS unterhalb des Hügelzugs Lange Lochen.
  • Die rhenanische Kinzig wird in diesem Bereich durch die Subsysteme der Gutach und der Schiltach gespeist; die Gutach, die nahe an der EHWS im Stöcklewald entspringt, stürzt sich weiter nördlich bei Triberg über die höchsten Wasserfälle Deutschlands hinunter.
  • Die Wanderroute verläuft praktisch ohne Unterbruch und Abweichung auf der EHWS. Ich verliess sie nur, weil ich zum Übernachten nach Sankt Georgen im Tal der Brigach hinuntersteigen musste.


Steinernes Halsgericht

Galgen mit Österreich-Wappen.
Galgen mit Österreich-Wappen.

Rund zwanzig vorwiegend durch Wald führende Gehminuten später stand ich plötzlich vor einem mächtigen, aus Felsquadern geschaffenen torähnlichen Gebilde, das sich als der auf Wegweisern bereits angekündigte historische Galgen erwies. Ein Relikt aus dem 18. Jahrhundert, das auf einer Lichtung des Kamms steht und so für aus der Gegenrichtung kommende Passanten gut sichtbar ist; ihnen sollte es seinerzeit kundtun, dass sie an dieser Stelle ein vorderösterreichischer Gerichtsbarkeit unterstehendes Gebiet betraten – so ist es der daneben platzierten Informationstafel zu entnehmen, und ein rot-weiss-rotes Wappen ziert auch heute noch eine der Säulen. Zweimal soll das «steinerne Halsgericht» – so die Tafel – Ding auch effektiv zur Erfüllung seines Zwecks verwendet worden sein. Zum ersten Mal stiess ich hier auch auf die Bezeichnung «Scheitel Alemanniens», die an das frühmittelalterliche Herzogtum dieses Namens erinnert und der ich im weiteren Verlauf noch öfters begegnen sollte.

 

Denn ab dem Kesselberg – den Mittelweg liess ich hier wieder einmal rechts abbiegen – , säumten zahlreiche Infotafeln des «St. Georgener Heimatpfades» den Weg. Lesewandernd erfuhr ich so zum Beispiel, dass die Wasserscheide hier das Einzugsgebiet der über die Triberger Wasserfälle hinunterstürzenden und zur rheinischen Kinzig hinströmenden Gutach von jenem des Donau-Quellflusses Brigach trennt, und dass man die Quelle des Letzteren in nur 700 Meter Entfernung passierte: Der Hirzbauernhof, in dessen Keller die Brigach entspringt, lag gut sichtbar etwas unterhalb des Kamms an den sanft abfallenden Hang gebettet. Oder dass der Scheitel einst gleichzeitig eine Grenze zwischen konfessionellen und politischen Räumen bildete – nämlich zwischen dem katholischen «Vorderösterreich» (wie die habsburgischen Herrschaftsgebiete im Westen genannt wurden) und dem protestantischen Württemberg – weshalb die Kruzifixe, an denen man unterwegs vorbeikommt, ausnahmslos auf der westlichen Seite der Scheitellinie in Gehrichtung: links) stehen.

Samstagabend-Grüsse

Ohne Lehrpfad hätte ich auch nicht bemerkt, dass ich auf dem Sattel der Sommerauer Höhe nicht nur die wichtigste Strassenverbindung zwischen Donauraum und Kinzigtal, sondern auch die legendäre Schwarzwaldbahn kreuzte: Denn diese unterquerte die Wasserscheide unsichtbar in einem Tunnel, der sich tief unter mir durch den Berg bohrte, um sich auf der rheinischen Seite durch weitere Tunnels und lange Kehren in das tief eingekerbte Tal von Triberg hinabzuwinden. Hingegen waren da zur anderen, östlichen Seite hin bereits Häuser von Aussenbezirken des deutlich höher gelegenen Sankt Georgen zu sehen.

Ich stieg aber mit der Wasserscheide auf der Nordseite des Passes nochmals durch Wald hinauf. Oben kreuzte ich eine auf dem Mittelweg aus dem Tal heraufkommende Gruppe Jugendlicher; ein laut aufgedrehter Ghettoblaster stellte sicher, dass man schon lange vorher auf die Begegnung gefasst war und sich noch lange nachher an sie erinnerte. «Saturday Night Fever Im Wald», ging es mir durch den Kopf. Auf der Hiesmichelshöhe fand ich kurz darauf, dass auch ich für heute genug gelernt hatte. So verliess ich die Wasserscheide, passierte eine Gewerbezone und stieg durch einen mit Wohnhäusern überbauten Südhang nach Sankt Georgen hinab. Ein lauschiger Biergarten bot sich als Schlusspunkt hinter der heutigen Lektion an.

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