EHWS Schwarzwald, Etappe 1: Blumberg - Döggingen
An zwielichtigen Quellen vorbei brach ich in die Baar auf. Über der Hochebene spannte sich der Himmel weit und blau, aber nur blass zeigten sich die Alpen am Horizont hinter mir. Dass mir gleich zwei Flüsse entgegen strömten, blieb dem Auge verborgen: Denn die Breg zur Rechten hielt sich zu fern, und die Wutach versteckte sich in tiefen Schluchten irgendwo links von mir. Die macht zudem in ihrem Versteck plötzlich kehrt und stiehlt sich nach Westen davon.
Endlich – nach Monaten steigender Infektionszahlen und teils einschneidender Restriktionen – schienen Reisen, auswärts Essen und Übernachten wieder Dinge, die man mit gewissen Einschränkungen tun konnte (wenn auch nur, wenn man geimpft, genesen oder negativ getestet war und dies belegen konnte). Und endlich in diesem bislang kühlen Frühling kündigten sich ein paar sonnig warme Tage an. Ich ergriff die Chance und knöpfte mir den Schwarzwald vor. In Blumberg – genauer gesagt: bei einem ehemaligen Zollhaus, in der Pampa etwa zwei Kilometer ausserhalb des Ortes – stieg ich um zehn Uhr aus dem Zug. Es ist der Endbahnhof der Aitrachtal-Linie und zugleich ein Museumsbahnhof. Weiter nach Westen fahren nur an bestimmten Tagen die Nostalgiezüge der «Sauschwänzlebahn», die sich in abenteuerlichen Kehren in die Wutachschlucht hinunterschlängelt.
Wo der Mensch Wasserscheide spielt
Der Bahnhof steht ziemlich genau auf der Hauptwasserscheide, auch wenn rein gar nichts darauf hindeutet: Ich befand mich am Südrand des topfebenen Aitrachtals. Kein Auge kann erkennen, dass der riedbedeckte Talboden sich zu beiden Seiten der Bundesstrasse B27, der entlang ich ihn überquerte, absenkt. Das Wasser scheint sich denn auch nicht für eine Abflussrichtung entscheiden zu können – und teilt sich auf. Mit der Folge, dass sowohl die Nordsee als auch das Schwarze Meer mit einigen Tropfen Blumberger-Ried-Wasser beglückt werden. Aber obwohl ich gemäss Karte haarscharf an diesem als «Bifurkation» bezeichneten Naturphänomen vorbeischritt, sah ich nichts davon, es schien sich in der Tiefe des Rieds zu vollziehen. Und jener Zweig, der sich jenseits der B27 als Aitrach fortsetzt, musste sich irgendwie unter dem von mir begangenen Radweg und der Strasse hindurchstehlen, jedenfalls bemerkte ich ihn nicht. Eine Spur von Wasser erblickte ich zwar etwas später in einem Graben, der sich zwischen den beiden Asphaltsträngen dahinzog; es schien aber stillzustehen. Auf ein Fliessgewässer stiess ich erst bei einem Betonbauwerk am Fuss des das Tal im Norden begrenzenden Hügelzugs: Es nimmt den von dort kommenden Mühlgraben auf und führt dessen Wasser auf der Talseite durch zwei übereinanderliegende Betonkanäle wieder hinaus. Im Augenblick tat es dies nur durch den oberen, nach Westen Richtung Wutach abzweigenden Kanal; über den unteren kann es auch den Graben versorgen, neben dem ich hergekommen war und der zur Aitrach führt.
Blumberg - Döggingen |
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Etappe | EHWS Schwarzwald, Nr. 1 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Zeit | 17,4 km / 4 h 40' |
Auf- / Abwärts | 264 m / 207 m |
Höchster Punkt | 839 m (Huchnegg-Wald) |
Tiefster Punkt | 699 m (Blumberg Zollhaus) |
Fernwanderwege |
Schwarzwald Ostweg (berührt) |
Durchgeführt |
Dienstag, 15. Juni 2021 |
Vorige Etappe ausstehend |
DIe EHWS im Bereich dieser Etappe |
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Ein Ort also, an dem der Mensch Wasserscheide spielt. Die Natur ihrerseits tut es ein wenig weiter ostwärts, indem sie sich von der B27 entfernt und auf den bewaldeten Stoberg hinaufschwingt. Ich stieg ihr nach Überquerung der verkehrsreichen Strasse, die den Hügelzug nach Norden durchschneidet, auf einem Forstweg nach. Diesen kannte ich von einer früheren Fernwanderung her (der Jura-Magistrale), da ich ihn auf dem Weg von Blumberg in die Schwäbische Alb benutzt hatte. Auch das Bild, das sich mir beim wenig später folgenden Waldaustritt bot, erkannte ich sogleich wieder: eine sanft gewellte, von Feldern bedeckte Hügellandschaft, dazwischen in eine Talmulde eingebettet das Dorf Hondingen, dahinter der bewaldete und etwas höhere Rücken des Berges Länge und über dem Wald ein sich in den Himmel reckender Fernsehturm. Ein Kreuz schaut von der Wasserscheide auf das Dorf hinab; bei ihm stiess ich auf den mir ebenfalls von damals bekannten Ostweg, einen von drei Fernwanderwegen des Schwarzwaldvereins. Ich folgte ihm heute jedoch nur bis ins Dorf hinunter, denn die Länge, zu dem er von dort hinaufstieg, lag dieses Mal nicht auf meiner Route.
Wo die von Fürstenberg herkommen
Am Gasthaus Hirschen vorbei – es stand ebenso da, wie ich es in Erinnerung hatte: nämlich geschlossen (was heute wohl der Pandemie geschuldet war) – verliess ich das Dorf nordwärts und wandte mich dann auf einem Feldweg wieder der andern, westlichen Talseite zu. Ich folgte nun einer gelben Raute, die einen Wanderweg namens «Fürstenberg-Runde» markiert. Nach Überquerung des Mühlbachs – eines winzigen, aber immerhin munter der Aitrach zustrebenden Wässerchens – stieg ich einem Hügelrücken und damit wieder der Wasserscheide entgegen. Wenn ich mich umdrehte, konnte ich am Horizont Alpengipfel erkennen, allerdings fast so durchsichtig wie auf einem wässrigen Aquarell. Sehr viel deutlicher zeigten sich die Häuser, die vor mir in der Verlängerung der Talmulde auftauchten. Sie mussten zum Dorf Fürstenberg gehören; auf dem Hügel über ihm meinte ich die Konturen einer Burg zu erkennen, wohl die Stammburg jenes gleichnamigen Adelsgeschlechts, dem heute unter anderem eine Biermarke gehört. Die Sonne fühlte sich inzwischen hochsommerlich an, ich war froh, beim Gang über eine längere baumlose Geländefalte einen bewaldeten Hügel näherkommen zu sehen. Kurz nach Waldeintritt verliess ich die Fürstenberg-Runde und schwenkte auf einen unmarkierten Weg ein, der mich wieder zur B27 hinunterführte. Ich überquerte sie zum zweiten Mal heute, und zwar genau dort, wo sie auch die Wasserscheide kreuzt.
Wo hinten vorn ist
Auf deren westlichen Seite begleitete ich die Strasse ein Stück weit nach Norden, wo sie sich schon bald zur Baar absenkte. Ich hielt mich über Feldwege und Graspfade an die Geländekante. Bei einem Kreuz, das auf das Dorf Behla hinabsah, konnte ich weit über die Baarhochmulde hinwegblicken, bis zu ihren Rändern, die im Südosten und Osten von Hegaualb und Baaralb – Ausläufern der Schwäbischen Alb – gebildet werden. Über die Mulden verstreut lagen Dörfer und Häuseransammlungen zwischen den Feldern. Ich folgte der Geländekante weiter nach Westen. Dass sie streckenweise die Wasserscheide bildet, war hier immerhin vorstellbar: Denn sie fiel zum Teil auch auf der südlichen Seite ab, wahrscheinlich sogar deutlich steiler als zur Baar hin, was sich freilich durch die dichte Bewaldung nur vermuten liess, die sich später auch über die zum Rücken verbreiterte Kante ausbreitete. Hinter dem Wald gelangte ich in ein Dorf hinunter, das sich «Hausen vor Wald» nennt (eine Frage der Ankunftsrichtung?), hinter dem wiederum ein schmales Alleesträsschen zu der langgezogenen Geländerippe des Auenbergs hinanstieg. Oben reckte sich eine einsame Windturbine in den Himmel; wie ich der danebenstehenden Informationstafel entnahm, handelte es sich um ein «Schwachwindkraftwerk». Im Augenblick tat es keinen Wank, und mich hätte schon eine leichte Brise sehr erfreut.
Wo (vielleicht) die Quellen sind
Der Auenberg erhebt sich zwar nur geringfügig über seine Umgebung, aber da diese beidseits recht flach zu sein scheint, lässt er die Blicke weit über sie schweifen. Blicke, denen sich die Wahrheit freilich nur zu Teilen enthüllt: Denn das, was ich auf der Südseite als schmalen Waldstreifen wahrnehme, der sich durch die Felder zieht, muss der Rand einer mehrere Dutzend Meter tiefen Schlucht sein, durch die sich das Flüsschen Gauchach einen Weg zur rheinischen Wutach pflügt. Und der dünne Wasserlauf auf der Nordseite, der zur danubischen Breg rinnt, bleibt in den Wiesen verborgen. Durch die asphaltierte, aber nur von wenigen Autos befahrene Allee, die nun mit der Wasserscheide zusammenfiel, schritt ich geradewegs auf das Dorf Döggingen zu. Weil mir dort bei Ankunft just der Zug davonfuhr, musste ich für die knapp zehnminütige Bahnfahrt nach Donaueschingen eine Stunde in der Sonne ausharren – und mich entsprechend länger auf das kühlende «Fürstenberg» gedulden, das ich dort vorzufinden hoffte.
(Nachtrag: Die Hoffnung sollte sich erfüllen – und zwar sozusagen an der Quelle, nämlich auf einer Terrasse direkt neben der Brauerei. Oder vielleicht müsste ich im Plural sagen: an «den Quellen». Denn in Sichtweite lag auch der fürstenberg‘sche Schlosspark, der angeblich die Donauquelle beheimatet. Aber eindeutig geklärt ist das nicht.)
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