EHWS Alpin, Etappe 3: Les Paccots (La Borbuintze) - Sonloup
Erst gut fünf Wochen nach dem Abstieg nach Les Paccots bot sich mir wieder eine Gelegenheit zur Fortsetzung meiner alpinen Wasserscheiden-Wanderung. Zwei Pässe wollte ich mir heute vorknöpfen: den Col de Lys und den Col de Soladier – den ersten lediglich als Abstecher zur Hauptwasserscheide. Vielleicht würde ich zudem von diesem aus ein paar Schritte Richtung Dent de Lys hinauf gehen; den als T4 klassifizierten Gipfel erachtete ich jedoch als jenseits meiner Möglichkeiten.
Im schönsten Morgenlicht
Zum zweiten Mal reiste ich also frühmorgens nach Châtel St. Denis an. Diesmal stieg ich am Bahnhof aber in den Bus nach Les Paccots um und fuhr mit diesem bis zur Endstation «Les Borbuintze», wo ich damals den Bus um einige Minuten verpasst hatte. Um zu meiner Route zurück zu gelangen, musste ich zunächst den Weg zurückgehen, auf dem ich hinunter gekommen war. Im schönsten Morgenlicht stieg ich wieder durch Wald und Weideland zum Mittelrücken zwischen den beiden Veveyse-Tälern hinauf. Bei der Alp Paccot-Dessus zweigte meine Route nach rechts Richtung Süden ab. Für meinen Abstecher ging es aber zunächst geradeaus weiter aufwärts, an dem Punkt vorbei, wo ich vom Teysachaux hergekommen war.
Jetzt wurde es immer steiniger und steiler – bis ich plötzlich oben auf dem Pass stand und auf der anderen Seite ins Tal der Saane hinunterblickte. Auf dem Wanderweg könnte man weitergehen und in dieses hinabsteigen; weil sich aber von dort die Hauptwasserscheide nicht gut weiterverfolgen lässt, hatte ich den Col nur als Abstecher erstiegen. Jetzt also wieder runter?
Ich genoss erst einmal die Aussicht und den Gedanken, die EHWS für einen Augenblick wiedergefunden zu haben, nachdem ich sie auf der Alp Belle Chaux hatte verlassen müssen.
Les Paccots (La Borbuintze) - Sonloup |
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Etappe | EHWS Alpin, Nr. 3 |
(Fernwanderprojekt EHWS) | |
Länge / Dauer | 17,9 km / 6h40' |
Auf- / Abwärts | 1'299 m / 1'335 m |
Höchster Punkt | 2'014 m (Dent de Lys) |
Tiefster Punkt | 1'138 m (Sonloup) |
Fernwanderwege | --- |
Durchgeführt | Montag, 22. August 2016 |
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Vo dem sich nördlich erhebenden Dent de Lys her lief sie über die scharfe Kante zu mir hinunter. Zu diesem blickte ich taxierend an dem steilen Hang und dessen scharfer Kante hinauf. Es gab keinen Wegweiser dorthin, keine Markierung und keinen durchgehenden Pfad. Bis weit hinauf war nichts als Gras, auf dem einige Kühe weideten; ganz zuoberst unter dem Gipfel freilich schien es ein Felsband zu geben, das wohl entweder erklettert oder umgangen werden musste und für mich vermutlich unüberwindbar war. Aber bis zu diesem Punkt konnte ich es ja versuchen! Auf Abenteuer am Berg wollte ich mich nur bei idealen Verhältnissen einlassen – aber konnten sie denn idealer sein als heute?! – Ich beschloss, so weit zu gehen wie ich konnte. Umkehren konnte ich ja jederzeit.
Dreifache Herausforderung
Am Grashang hinaufzusteigen war strenge, aber machbare Arbeit. Dann stand ich vor dem Felsband, das sich nun naturgemäss als viel mächtiger erwies als es von unten schien. Vor allem zeigte sich, dass es sich weit am Osthang hinunter zog; man musste deshalb zuerst ein hübsches Stück hinabsteigen, bevor man auf der andern Seite wieder aufsteigen konnte. Also wars das wohl? – Immerhin war hier ein Pfad erkennbar, also ging ich weiter. Am tiefsten Punkt angekommen, begann eine mit Ketten gesicherte Passage durchs Gestein. Bald wurde es richtig steil, nahezu vertikal.
Die Herausforderung war nun dreifach: Kraft, Trittsicherheit und Gleichgewicht. An meine Grenzen stiess ich bei der Kraft. Ohne Ketten hätte ich umkehren müssen, dank ihnen aber schaffte ich es. Auf dem Grat sassen zwei junge Zicklein (ich hielt sie für Gämsen, liess mich aber von anderen Wanderern belehren, dass es sich um Ziegen handelte) und schauten seelenruhig auf mich herunter, während ich mich zu ihnen hinaufzog. Hier gab es eine schmale, horizontale Passage, auf der ich mich wie sie einen Augenblick ausruhen konnte. Wieder erwog ich umzukehren. Aber hatte ich nicht vielleicht das Gröbste jetzt hinter mir? Tatsächlich konnte man das letzte Stück wieder aufrecht gehen. Um halb eins stand ich dort, wo ich mich nicht erwartet hätte: Beim Gipfelkreuz des Dent de Lys!
Dumm, wenn man die Kamera nicht dabei hat!
Im Gras liegend ass ich Wurst und Brot aus dem Rucksack, ruhte mich aus und genoss die Aussicht. Ich war fast allein. Ein Wanderer raufte sich bei der Ankunft die Haare: Er hatte den Rucksack bei seinem Hund zurückgelassen – und dort leider das Smartphone vergessen, weshalb er nun sein Gipfelerlebnis nicht verewigen konnte… Wirklich zu dumm! Denn die Rundsicht war immens, von den Savoyer Alpen und dem Genfersee über Jura, Mittelland und das Moléson-Teysachaux-Massiv zu den Berner Voralpen, nach Osten hin ein wahrer Ozean aus Alpengipfeln – je weiter weg, desto höher schienen sie! In direkter nördlicher Nachbarschaft die zwar niedrigeren, aber spektakulär geformten Zacken des Grand Sex und des Vanil Blanc. Schön konnte man die Hauptwasserscheide verfolgen: vom Teysachaux zur Alp Belle Chaux hinunter und dann geradlinig zu mir hinauf, wo sie praktisch rechtwinklig abbog und dem Grat entlang bis zum Col de Lys hinunter und weiter über dieselbe Bergkette bis zum Rochers de Naye verlief. Unter dem Gipfel des Letzteren konnte ich durchs Fernglas sogar die Galerien der zu ihm hinaufführenden Bahn erkennen. Weiter hinten hoben sich scharf zwei dolomitartige Türme ab, die ich für die Tour d’Aï und die Tour de Mayen in der Region Leysin hielt.
Der Abstieg war anspruchsvoll, aber ich schaffte ihn ohne Verkrampfung. Nach einer Stunde war ich wieder auf dem Col unten. Insgesamt hatte mich der Zusatz-Abstecher zum Dent de Lys nahezu drei Stunden gekostet. Flanieren lag also nicht mehr drin. Dazu gab die Route nun freilich auch nicht mehr viel Anlass: Der Abstieg zur Alp Paccot-Dessus hinunter war bekannt, dann gings auf einem Hartbelag-Strässchen in den Kessel der Veveyse de Fégire hinunter. Denn leider führte in dieser Hälfte des Doppelkessels kein Weg dem Hang der Bergkette entlang, sondern man musste auf der gegenüberliegenden Seite zum Kesselboden hinuntersteigen, auf einer Holzbrücke den Bach und mit diesem die Kantonsgrenze Freiburg/Waadt überqueren, und dann auf Asphalt wieder aufwärts gehen.
Tor zu einer neuen Landschaftskammer
Beim hintersten Hof, gegenüber dem spektakulären Gipfel des Vanil des Artes, hatte der Asphalt ein Ende; steil und teilweise weglos ging es nun zum Col de Soladier hinauf. Dieser war wie ein Tor zu einer neuen Landschaftskammer: Der Veveyse-Doppelkessel lag hinter mir, die Bergkette zur Linken wich nach Südosten zurück und gab den Blick frei Richtung Rochers de Naye und Walliser Alpen und in der entfernten Tiefe auf das obere Ende des Genfersees. Dumpf waren Detonationen zu hören – ob das bereits vom Waffenplatz Hongrin, einer weiteren Landschaftskammer ennet der Bergkette, herrührte?
Meine Route würde von hier weiter in der Höhe bleiben – aber es war bereits 17 Uhr und damit Zeit für den Talabstieg! – Auf einem Waldpfad gelangte ich auf ein Strässchen hinunter, das sich lang an einem Hang Richtung Süden dahinzog, bis endlich das schlösschenartige Hotel Sonloup unter mir auftauchte. Zur Zeit war es eine Baustelle und offensichtlich ausser Betrieb. Das kümmerte mich freilich nicht: Nicht das Hotel war mein Ziel, sondern die direkt dahinter liegende Bergstation der Standseilbahn. Mit dieser fuhr ich um halb Sieben zum Ferienort Les Avants hinunter, von wo ich per Bahn über Montreux und Lausanne nach Hause zurückkehrte.
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